Rajputen eine Sonderstellung
ein, spielten sie doch ab dem 7. Jh. in der
Geschichte und Kultur Nordwestindiens eine führende
Rolle und sind hinsichtlich ihrer Herkunft von
zahlreichen Geheimnissen umgeben. Weder ist es klar,
ob es sich um eine eigene Ethine handelt oder nur
eine soziale Gruppe mit gleichen Gepflogenheiten,
noch weiss man genau, woher sie kommen. Abgeleitet
ist der Begriff, der heute nur noch als Kastennamen
verwendet wird, aus dem Sanskrit Wort rajaputra
(Königssohn), das bereits in den Schriften des
6. Jh.v. Chr. Auftaucht. Die Herkunft der insgesamt
36 Clans, die sich in die Gruppe der Sonne – (Suryavamsha),
Mond – (Chandravamsha) und Feuerclans (Agnikula)
unterteilen lassen, verliert sich jedoch im Dunkel
der Mythologie und ist nach wie vor mit vielen
Fragezeichen behaftet, da die Genealogien von
hofeigenen Historikern den Wünschen der Herrscher
angepaßt wurden. Besonders deutlich ist dies bei den
Marathen, die aus der Kaste der Bauern stammen und
im 18. Jh. zur führenden Macht aufstiegen. Die Sonne
– und Mondclans sollen den Puranas und Brahmanas
(alte indische Schriften) zufolge auf die Urfamilie
Manu zurückgehen und vom neunten Sohn des Manu, dem
Hermaphroditen Ila, geschaffen worden sein. Sonne –
und Mondkult waren bereits Bestandteil der indo –
europäischen Religionen, auf die sich der Hinduismus
in seiner Urform, dem Vedismus, zurückführen lässt.
Die
bedeutenden Clans der Chauhan, Solnki, Parmar und
Parihar sollen einem Feuerloch (Agnikund) auf dem
Mount Abu entsprungen sein. Aus diesem Ritual
schließen einige Forscher auf eine ausserindische
Herkunft der Rajputen, die erst durch die Reinigung
im Feuer Aufnahme als angesehene Kriegerkaste
(Kshatriya) in das bestehende Sozialsystem fanden.
Die Feuertaufe könnte aber auch Aufwertung einer
niederen, im Kampf erfolgreichen Kaste durch das
Ritual der Brahmanen gewesen sein, die sich für
diesen Ritterschlag fürstlich belohnen ließen. Von
den Rajputen selbst wird die Zuwanderungstheorie
streng abgelehnt, sehen sie sich doch selbst als
direkte Nachkommen der Kriegerkaste der frühen
vedischen Gesellschaft und damit als reine Arier
(Arya). Dies gilt auch für die Mond – und
Sonnenclans, zu denen sich die Rathor von Jodhpur
und Bikaner, die Sisodia von Mewar und die Kacchwaha
von Jaipur rechnen. Allen gemeinsam war die geradezu
kultische Verehrung von Waffen und Pferden, die
(Un-) Sitte der Witwenverbrennung (Sati), die
Anbetung der Sonne (Surya), die in zahlreichen
Tempeln in Gujarat und Rajasthan ihren Ausdruck
findet, und die Stellung der Barden, die bis heute
die Tradition bereichern. Auf arischen Ursprung
deutet die Sprache – ein indoarischer Dialekt, der
aus dem Dingal abgeleitet ist, ein früher von den
Barden benutztes Idiom.
Außer der rajputischen Elite haben weitere
interessante Gruppen in Nordwestindien ihren
Lebensraum gefunden und zum Teil bis heute bewahren
können. Zu ihnen zählen die Minar, deren Vorfahren
zwischen 3500 und 2700 v. Chr. wahrscheinlich die
grossen Städte der Induszivilisation bewohnten, ehe
sie von den Ariern um 1500 v. Chr. nach Süden
verdrängt wurden und schließlich unter die
Herrschaft der Rajputen gerieten. Heute stellen sie
den überwiegenden Teil der ländlichen Bevölkerung in
Rajasthan. Obwohl sie dem Shivakult anhängen,
verschleiern sich die Frauen, dafür aber herrschen
liberale Scheidungsgesetze, und der Wiederheirat
einer Witwe steht nichts im Wege.
Auf der Reise über Land trifft man nach wie vor die
Gaduliyar Lohar, nomadisierende Handwerker aus der
Region Mewar, die ihren Namen den typischen
Ochsenwagen mit Holzscheibenrädern (gadi) verdanken,
der ihnen als Fahrzeug, Wohnung und Werkstatt dient.
Viele dieser Wagen haben heute am Rande der Städte
einen festen, überdachten Standort. Der Legende nach
sollen sich die Mitglieder einer ehemals angesehenen
Rajputenkaste nach der Niederlage von Chittaurgarh
geschworen haben, erst nach dem Sieg über die Moguln
wieder in ihre Stammburg zurückzukehren – ein
Wunsch, der sich nicht erfühlte. Seither ziehen sie
über Land und verdienen ihren Lebensunterhalt
vornehmlich als Schmiede, eine bemerkenswerte
Parallele zu den Roma und Sindi, die ja in
Nordindien ihren Ursprung haben.
Auf die drawidische Urbevölkerung, die bereits vor
Ankunft der Arier auf dem Subkontinent lebte, lassen
sich die Bhil zurückführen, die sich später mit
Zuwanderern aus dem Norden mischten, in ihrem Namen
aber noch das ursprüngliche Jägerdasein erkennen
lassen. Trotz Hinwendung zum Hinduismus haben sie
noch Relikte der alten Religion bewahrt. So gibt es
Gottheiten für Milch (Gwali), Landwirtschaft (Hir
Kulyo) and Getreide (Nandevo). Noch immer leben sie,
verstreut über Rajasthan, in einfachen, nur aus
einem Raum bestehenden Behausungen, die sich zu
kleinen Dörfern gruppieren, in denen jeweils eine
Sippe zusammenwohnt. Bis vor kurzem noch waren die
Bhil als Räuber in ganz Rajasthan gefürchtet, heute
arbeiten viele von ihnen außerhalb der
Landwirtschaft als Tagelöhner, Wächter und
Holzverkäufer.
Die
Meenas
Die Meenas sind ein Stamm, der seine Herkunft auf
das Matsya (Meena: Fisch) Avatara, die erste
lnkarnation Vishnus, zurückführt. Nachkommen der
einst in Ajmer herrschenden Meenas siedelten sich in
den Distrikten Alwar, Bharatpur, Dholpur und Jaipur
an. Man unterscheidet zwei Hauptlinien: die
Zamindaris (,,Landbesitzer“, ,,Häuptling“) und die
Chowkidaris (,,Verwalter“). Beide Clans haben ihren
festen Platz in der Kastenordnung. Mit der
Zugehörigkeit zu einer Kaste ist jeder bestimmten
sozialen und ethischen Vorschriffen unterworfen. Es
muß daher nicht verwundern, wenn in Indien den
einzelnen Stämmen, Clans, Kasten etc. jeweils
bestimmte Berufe, Eigenschaften, Denkweisen und
ähnliches nachgesagt werden. So sollen die Zamindari
Meenas erfahrene Bauern oder etwa gebildete Beamte
sein. Die Chowkidari Meenas dagegen sind Trinker,
Raufbolde oder Dacoits, die gefürchteten
Wegelagerer, die in indischen Filmen als Bösewichte
fungieren. Mit der Erkenntnis, daß jeder zum
gehorsamen Kastenmitglied erzogen wird und seine
Umwelt ihm keinen Spielraum für eine persönliche
Entwicklung läßt, muß man leider den Wahrheitsgehalt
solch pauschaler Aussagen als recht hoch einstufen.
Die
Jats von Deeg und Bharatpur
Die Jats
waren ein einfaches Bauernvolk, das hauptsächlich in
der Gegend von Bharatpur lebte. Die zentralistische
Regierung der Moghulen, insbesondere die des Kaisers
Aurangzeb löste Unmut unter den Jats aus. Gerade die
Bauern hatten unter harten Steuerabgeben zu leiden.
Als Hindus wurde ihnen nicht das geringste Recht
eingeräumt. Angefährt von Steuereintreibern aus den
eigenen Reihen, die sich ebenfalls durch erhöhte
Forderungen von seiten der Moslems besroht sahen,
kam es zu Aufständen der Jat-Bauern. Der Widerstand
artete in Plündereien aus. Dar Jat Raja Ram bildete
eine kleine Armee aus, die Karawanen ausraubte,
welche auf dem Weg von Delhi zum Dekkhan durch Agra
und Bharatpur kamen. Mutig geworden durch einige
Erfolge plünderte Rams Armee sogar Akbars Grabmal in
Sikandra. Aurangzebs Regierungsgewalt, die mit den
einsetzenden Thronwirren zunehmend geschwächt wurde,
konnte die Jats nur kurze Zeit in Schach halten.
Unter
Churaman, einem Neffen Raja Rams, wurden die
Rebellen noch mächtiger. Sie beherrschten nun ein
beträchtliches Gebiet um Agra. Der Gouverneur von
Agra sah sich jahrelang außerstande, etwas gegen die
Jats zu unternehmen. Bahadur Shah, der älteste Sohn
und Thronfolger Aurangzebs, ließ das Versteck
Churamans mit einer Streitmacht von 15 000 Reitern
unter dem Rajputen Sawai Jai Singh belagern. Zum
Sieg der Belagerer kam es nur, weil Badan Singh von
Deeg aufgrund von Familienstreitigkeiten Churaman
die nötige Hilfe verweigerte. Der durch die
Niederlage Churamans jedoch seinerseits geschwächte
Badan Singh wurde von den Moslems zu Tributzahlungen
verpflichtet. Er legte in Deeg den Grundstein für
den Jat-Staat von Bharatpur und gewann allmählich
mit dem Zerfall des Moghulreiches die Kontrolle über
die Distrikte Agra und Mathura zurück. In Deeg began
man während der Regierungszeit Badan Singhs (1722 –
1756) mit dem Bau der Garten -und Palastanlagen.
Badan Singhs Sohn Suraj Mal (1756 – 1763) war der
Erbauer der Festung von Bharatpur, von der aus er
den Verbindungsweg zwischen Agra Delhi
kontrollierte. Die Paläste Kishori Mahal, Kothi Khas
und Mahal Khas im Fort stammen ebenfalls aus seiner
Regierungszeit bzw. der seines Sohnes Jawahar Singh
(1764 – 1768). Bharatpur und Deeg, der
zweitwichtigste Stützpunkt des Staates, blieben
trotz allem weiterhin tributpflichtig und mußten die
Moslems gegen die Maratheneinfälle unterstützen.
Gegen die Briten zeigten sich die Jats erneut
rebellisch, bis Lord Combermere sie 1826 unterwart.
Heute noch sind die Jats als hart arbeitende,
erfolgreiche Bauern in der Gegend von Bharatpur und
Dholpur bekannt. Sie haben sich von vielen
Starrheiten des Kasten-systems gelöst. So können
z.B. die Frauen in alle Kasten heiraten, und auch
die Wiederheirat einer Witwe ist statthaft, weshalb
andere Hindugruppen, darunter besonders die Rajputen,
die Jats verachten. Zwei bedeutende Sekten der Jats
sind die Jasnathi und die Bishnoi, die in ihrem
Glauben sehr weit vom orthodoxen Hinduismus entfernt
stehen.
Die
Bhils
Der Stamm der Bhils mit ca. 1 Mio. Angehörigen ist
einer der ältesten und zugleich wichtigsten der
insgesamt etwa 30 sogenannten Schedulded Tribes
Rajasthnas. Bei den Schedulded Castes und Tribes
handelt es sich um diejenigen Kasten und Stämme,
denen wegen bisheriger Vernachlässigung auf sozialem
und ökonomischem Gebiet eine Förderung im Rahmen
eines Regierungsplanes zuteil werden soll.
Die mongoliden Gesichtszüge der Bhils verraten noch
heute deren Herkunft von austroasiatischen Stämmen,
die um 4000 v. Chr. in Indien einwanderten. Die
Bhils wurden im südlichen Aravalli-Gebirge seßhaft,
wo sie in völliger Abgeschlossenheit eine primitive
Lebensweise fortsetzten, bis die kulturell
überlegenen Rajputen das Land eroberten und dem
Stamm die Lebensgrundlage nahmen. Im Lauf der Zeit
wurden die meisten der ehemals friedliebenden Bhils
zu Banditen und waren als Trunkenbolde und
Gesetzesbrecher gefürchtet. Obwohl sie die
hinduistischen Götter anerkannten, führten sie
Traditionen wie Witwenheirat und Scheidungen fort
und blieben als Kastenlose von der Hindugesellschaft
ausgeschlossen. Andererseits machten sie sich einen
Ruf als tapfere Soldaten. so z. B. in der Schlacht
von Haldighat. 1840 wurde in Udaipur ein Bhil Corps
eingerichtet, um wenigstens einigen Bhils
Lebensunterhalt und gesellschaftliches Ansehen zu
sichern. Die Majorität galt jedoch weiterhin als
aufsässig. Tatsächlich erkannten die Bhils keine
fremden Herren an, denn die Vergangenheit hatte sie
gelehrt, daß ihnen dabei nur Unrecht widerfährt. Um
die Jahrhundert wende machte Bhagal Bhil Vorschläge
für eine Reformbewegung, deren Ziel es vor allem
war, sich den Gesetzen des orthodoxen Hinduismus zu
fügen und das Bandenwesen aufzugeben. Bhagat und
seine Anhänger wurden daraufhin vom Stammesverband
ausgeschlossen.
Neben dem schon erwähnten Ansehen als gute Soldaten
sind die Bhils in Rajasthan als Musiker beliebt.Die
Begegnung mit Karna Bhil, dem virtuosen Spieler der
Narh, bildet den Auftakt zum Rajasthan-Artikel in
der ,,GEO“ vom Juli 1977. Hier wird Karan Bhil nicht
nur als Flöten spieler sondern auch als mordender
Dacoit bezeichnet, dem der Prozeß gemacht werden
soll. Zwie Jahre später filmt ein Fernsehteam den
Verurteilten im Gefängnis. Im März 1980 sieht man
das Foto von Karna Bhils, der mit seinem meterlangen
Schnurrbart sogleich auffällt, bei einem
Porträtfotografen in Mount Abu. Man freut sich
zunächst, daß man Karna Bhil erkennt, ist aber
verärgert, als man den Musiker, dessen Porträt bei
einem Auftritt 1979 aufgenommen wurde, als Dacoit
bezeichnet wird. Karna Bhil spielt immer noch. Sei
es, daß man ihm hierzulande die Morde nur
angedichtet hat, sei es, daß man ihn begnadigt hat,
weil er als Musiker seinem Land außerhalb der
Gefängnismauern mehr Verdienste bringt, in Mount Abu
wollte man nichts von einer dunklen Vergangenheit
des Virtuosen wissen.
Die Gadia Lohars
Die Frau hob einen schweren Schmiedehammer über den
Kopf und schlug zu. Holte wieder aus und schlug
wieder zu. Es schien ihr keine Mühe zu bereiten. Ihr
Mann hockte vor ihr auf dem Boden und wendete mit
gelassener Miene von Zeit zu Zeit ein Hufeisen über
dem Amboß. Unweit dieser Szene war ein Jutezelt
aufgeschlagen, vor dem nackte Kinder spielten. Zwei
Ochsen wühlten in den Müllresten, die verstreut in
der Umgebung lagen. Ein kunstvoll verzierter Karren
mit einigem Hausrat stand in der Nähe des Zeltes.
Das war die erste Gadia-Lohar-Familie, die wir in
Rajasthan sahen.
Als Akbar die Festung von Chittorgarh zerstört
hatte, sollen die letzten Überlebenden einen Eid
geschworen haben, ohne Haus und Besitz zu bleiben,
bis die Festung zurückerobert sei. Die Nachkommen
dieser Familien sind die Gadia Lohars.
Eine andere Version lautet, die Gadia Lohars seien
die einzigen, die Prataps Schwur, besitzlos zu
bleiben, treu geblieben sind. Sie wurden Nomaden und
zogen bis Haryana im Norden und Uttar Pradesh im
Osten. Neben Schmieden gibt es unter ihnen vor allem
Schuhmacher, die in den Dörfern ihre Dienste
anbieten. In ihren Heiratsbräuchen unterscheiden sie
sich von anderen Hindus dadurch, daß bei ihnen
Scheidungen erlaubt sind, vor allem aber, daß die
Frau nach der Scheidung ihren zweiten Mann aussuchen
darf, der an den ersten eine Ablösesumme zahlt.
Die einst wegen ihres Stolzes hoch-angesehenen Gadia
Lohars, werden in der heutigen Gesellschft
verachtet. 1955 führte Nehru die Gadia Lohars in
einem zeremoniellen Zug in die Festung Chittorgarh
zurück, eine fruchtlose Handlung, denn die
Nachfahren derer, die einst den Schwur abgelegt
hatten, sind ihrer Lebensweise zu sehr verhaftet,
als daß sie in einem solchen Handstreich mit ihrer
Tradition brechen könnten. Später hat man in
Chittorgarh die ,,Gadia Lohar Chhatrawas“
eingerichtet, in denen die Kinder dieses
Nomadenstammes kostenlose Unterbringung, Verpflegung
und Erziehung erhalten. Die von der Regierung
angestrebte Seßhaftigkeit wird jedoch die Armut
nicht beseitigen, solange den Gadia Lohars
gesellschaftliches Ansehen verwehrt bleibt. |