Geschichte von
Chittaurgarh (Rajasthan - Indien)
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Wie das
Rückgrat einer versteinerten Riesenechse hebt sich am
Rande der Stadt Chittaurgarh ein schmales, 5 km langes
Felsplateau mit senkrecht abfallenden Wänden fast 200 m
aus der staubigen Ebene – der ideale Ort zur Anlage einer
Festung. Und in der Tat haben Menschen sich diese
natürliche Bastion schon sehr früh als vermeintlich
sicheren Siedlungsplatz auserkoren. Dennoch wurde die
Festung zum Kenotaph der rajputischen Freiheit, zum
Siegesmal des Islam in Nordindien und zum wichtigsten
Kapitel im Buch regionaler Heldenverehrung. Noch heute
ergreift jeden aus Rajasthan stammenden Hindu Ehrfurcht,
wenn er Chittaurgarh besucht, das er mehr als
Heldengedenkstaette begreift denn als Hort rajputischer
Architektur.
Als erstes
sollen sich hier im 8. Jh. die Rajputen vom Clan der
Guhilot niedergelassen haben, die sich spaeter Sisodia
nannten und als Abkömmlinge der Sonne unter den 36 Clans
den hoechsten Rang beanspruchten. (Architektonische
Zeugnisse lassen sich bis ins 8. Jh. zurückverfolgen.) Für
fast acht Jahrhunderte wurde von Chittaurgarh, dessen
Namen sich wahrscheinlich vom legendären Stadtgründer
Chitrangad Maurya herleitet, nicht nur das Reich der Mewar
geführt, sondern die rajputische Kultur in der gesamten
Region verbreitet. Der Felsen barg neben Festung und
Palast eine ganze Siedlung mit Wohnhäusern, Feldern,
Tempeln und Wasserreservoirs. Die heutige Stadt ist eine
Entwicklung der Neuzeit.
Chittaurgarhs Ruf als Stadt rajputischen Heldentums
gründet auf den drei muslimischen Eroberungen von 1303,
1535 und 1567, bei denen sich Legende und Realität
unentflechtbar zum Mythos verbanden. Im Jahre 1303
belagerte Ala-ud-Din Khilji, der Sultan von Delhi, die
Festung. Angeblich begehrte er die Fürstentochter Padmini,
nachdem er einen Blick auf ihr Spiegelbild hatte werfen
dürfen., wollte er sie auf jeden Preis in seinem Harem
haben. Um Padmini zu gewinnen hat die die Stadt belagert.
Als die Lage für die Eingeschlossenen unhaltbar wurde,
wählten sie den gemeinsamen Tod, den Jauhar. In den
unterirdischen Gewölben verbrannten sich die Frauen und
Kinder auf Scheiterhaufen, während die Männer safrangelbe
Gewänder anlegten, die Tore öffneten und sich bis zum
letzten Mann kämpfend dem Feind entgegenwarfen.
Beim zweiten
Jauhar, ausgelöst durch den Überfall des Sultan Bahadur
Shah aus Gujarat, sollen sich 13000 Frauen und Kinder dem
Feuertod überantwortet haben, während fast 40000 Rajputen
im Kampf ihr Leben ließen. Trotz des Blutbades vermochte
sich die Festung von beiden Belagerungen wieder zu
erholen. Ihr Ende und das der Rajputischen Freiheit führte
der Mogulherrscher Akbar im Jahre 1565 herbei. Rana Udai
Singh II. War damals die Speerspitze der hinduistischen
Rajputen in Nordindien und damit Akbars erbittertster
Widersacher. Im Gegensatz zu vielen anderen
Clanoberhauptern hatte er sich geweigert, durch
Eheschließungen ein Bündnis mit dem Mogulhof einzugehen.
Beim Vormarsch Akbars hatte sich der Herrscher nach
Udaipur abgesetzt, um den Kampf gegen die Moguln aus
sicherer Entfernung zu leiten, wofür er später als
Feigling geschmäht wurde, dadurch aber sein Reich zu
retten vermochte.
Am 24.
Oktober 1567 begann die Belagerung, wobei Akbar zunächst
unterirdische Stollen bis zur Mauer vortrieb und sie mit
Schießpulver füllte, Statt der erhofften Bresche in die
Festung riss eine Fehlzündung jedoch 200 Mogulsoldaten in
den Tod. Nunmehr ging man zum Bau eines aus Bruchsteinen
gefertigten, mit Tierhäuten gedeckten Gangs über. Durch
Musketenbeschuss aus den Festungen wurden täglich etwa 200
mit dem Vortrieb des Gang beschäftigte Arbeiter getötet!
Akbar selbst soll in der Endphase der Belagerung mit einem
gezielten Schuß Jaimal, den von Udai Singh als
Kommandanten eingesetzten Rathor von Bednar, getötet
haben. Erneut wurde nun Jauhar befohlen, aber nicht alle
fanden oder suchten den Tod. Viele der etwa 1000
Scharfschützen, die Akbars Truppen dezimiert hatten,
fesselten ihre Frauen und Kinder und trieben sie, sich als
brutale Mogulkrieger gebärdend, durch die feindlichen
Reihen in die Freiheit. Vielleicht war es Wut über den
gelungenen Ausbruch, die den sonst so besonnenen und
toleranten Akbar zum Massaker an den etwa 40000 Bauern
veranlaßten, die in der Festung Schutz gesucht hatten.
Trotz des Sieges blieb die Stadt ein dunkler Punkt in der
Biographie Akbars, zumal es ihm nicht gelungen war, das
Mewarreich gänzlich auszulöschen –aufgebaut wurde die
stärkste Festung Rajasthans allerdings nie wieder.
Rundgang Ein
langer Fahrweg führt heute an der Westseite vom Fluss des
Felsen zur Festung empor. Als erstes der insgesamt neun
Tore durchschreitet man das Padan Pol mit einem
Gedenkstein an Rawal Bagh Singh, den im Kampf gefallenen
Kommandanten der Verteidigung von 1535. Zwischen dem
zweiten und dritten Tor liegen rechts die Chattris für den
heldenhaften Jaimal und seinen Lehensmann Kall, die bei
der Belagerung durch Akbar ihr Leben verloren hatten.
Durch das Bhairon Pol , Hanuman Pol , Ganesha Pol , Jorla
Pol und Lakshmana Pol erreicht man schließlich das oberste
Tor, das Ram Pol , wo ein Kenotaph an den erst 16jaehrigen
Patta erinnert, der, so will es die Legende, neben Jaimal
zusammen mit seiner ebenfalls kämpfenden Mutter und Braut
den Tod fand. Bis in unsere Tage ist der heldenhafte
Widerstand von Jaimal und Patta Gegenstand rajputischer
Balladen, und die Nachfahren der beiden gehören nach wie
vor zu den angesehensten Adligen Mewars. Nach Passieren
des Eingangs triff man zunächst auf den Palast des Rana
Kumbha rechts des Fahrweges .Der einst ausgedehnte,
weissverputzte Komplex liegt heute größtenteils in Ruinen,
offenbart aber dennoch einige interessante Details. Recht
gut erhalten ist noch die nördliche Fassade mit den
vorspringenden überdachten Balkonen. Bemerkenswert ist der
stufenförmig als Terrassenbegrenzung ausgeführte obere
Abschluß, der die Front auflockern sollte. Deutlich lassen
sich im Grundriß mehrere Baugruppen unterscheiden. Zentrum
bildete der von zwei Türmen flankierte zweistöckige
Hauptpalast an der Nordseite, der an der Hofseite eine
schmale säulengestützte, restaurierte Audienzhalle
aufwies. Westlich schließt sich der heute aufgrund der
teilweise noch erhaltene Jalis als Harem (Zenana)
identifizierte Flügel für die Frauen an, in dessen
unterirdischen Gewölben die gemeinsamen Selbstmorde
stattgefunden haben sollen. Getrennt von beiden liegt
einige Meter südlich der Kanwar Pade ka Mahal
(Prinzenpalast) als fast spiegelbildliches Pendant des
Rana Kumbha-Palastes. Auf der dem Eingang zu Rana Kumbhas
Palast gegenüberliegenden Seite der Straße sieht man die
Reste der Bastion Naulakja Bandhar , in der früher der
Staatsschatz aufbewahrt wurde. Interessanter ist jedoch
der unmittelbar angrenzende Jaintempel Shringara Chauri ,
der 1448 für den 16.Wegbereiter Shantinatha gebaut wurde.
Die achteckige Cella wird von einer flachen Kuppel
abgeschlossen und im Osten und Westen von jeweils einem
Pavillon mit vier Saeulen begrenzt. Das kleine Bauwerk ist
außerordentlich reich mit Nymphen, Wächtergottheiten und
Löwenwesen verziert.
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Auf dem
Architrav über der Haustür hat der Furbereiter seinen
Platz, wir treffen aber auch auf Ganga und Yamuna sowie
Wächterfiguren und Göttinnen des Wissens. Bemerkenswert
ist die Einbeziehung brahmanischer Kultbilder, wie z. B.
eines achtarmigen Vishnu und eines Shivalingams in die
Ausstattung. Ein Stück weiter liegt das Museum, das einige
schöne Plastiken, Waffen und Bilder, leider recht lieblos
und nur in Hindi beschriftet, präsentiert. Entschädigt
wird der Besucher ein wenig durch die große Festhalle im
Obergeschoß mit Glaseinlegearbeiten und Bildnissen der
Herrscher von Chittaurgarh.
An das
Museum grenzt rechts der Sat Bees Deori , ein grosser
Komplex mit 27 Jaintempeln aus dem Jahre 1450, von denen
24 den Furtbereitern geweiht sind. Der schräg gegenüber
auf der anderen Seite des Fahrwegs liegende, jedoch
demselben religiösen Komplex zuzuordnende Kumbha
Syana-Tempelist hingegen Vishnu geweiht. Der Ursprung des
Bauwerks reicht allerdings schon bis ins 8. Jh. zurück, so
dass die umliegenden Jaintempel als Ergänzung gesehen
werden müssen und als Ausdruck der Toleranz des eigentlich
dem orthodoxen Hinduismus anhängenden Rana Kumbha. Die
quadratische, mit einem Vorraum versehene Cella liegt auf
einer Plattform umschlossen von einem Ambulatorium und
vier vorspringenden Balkonen. Das Heiligtum entstand etwas
später als der weiter nördlich liegende Kalika
Mata-Tempel, der einen fast identischen Grundriß aufweist.
Der Shikhara und das Pyramidendach des Mandapa wurden erst
von Rana Kumbha um 1450 zugefügt, ebenso etliche Details.
Vieles stammt aber noch aus der Frühzeit, darunter die
meisten Figuren. Denn auch dieser Tempel ist reich
ornamentiert und mit Bildnissen des hinduistischen
Pantheons verziert. An den äußeren nördlichen Ostwand
steht in einer kleinen, mit Ziergiebel überdachten Nische
Ishana (Shiva als Weltenhueter), an der Südseite haben
Indra und Ganesh ihren Platz, an der Süwand finden wir
Skulpturen von Rama und Nagas, an der Nordseite den
Totengott Yama und Kali in ihrer schreckenerregenden From
als Chamunda.
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Chittorgarh |
Ziegenherde-auf-der-Strasse |
Der daneben
liegende Mirabai-Tempel (12,15. Jh.) wurde erst später mit
der Füstentöchter und Gemahlin Rana Kumbhas, Mirabai, in
Verbindung gebracht, Sie gab sich ganz der
Krishnaverehrung hin und pries den Gott in mystischen
Versen; ihre Lieder werden heute noch gesungen. Der
Rundgang führt nun weiter zum 36 m hoch aufragenden
neunstöckigen, an eine chinesische Pagode erinnernden Yaya
Stambha (13, Siegesturm) mit dem Rana Kumbha seinen Sieg
über Mohammed Khilji im Jahre 1440 feierte. Wie an einem
Tempel bedecken die Fassaden und Innenwände Skulpturen
unterschiedlicher indischer Gottheiten, Episoden aus den
Epen Ramayana und Mahabharata, aber auch Jainheilige. Im
fünften Stock haben sich sogar die Baumeister im Relief
verewigt. Inspiriert wurde Rana Kumbha sicherlich vom Qutb
Minar in Delhi. Aus derselben Zeit stammt der ein Stück
westlich des Siegesturms liegende Mokuljitempel , der 1428
ergänzt wurde. Sehenswert ist vor allem die große Plastik
mit den Gesichtern Shivas, Vishnus und Brahmas (Trimurti)
im Kultraum. Unterhalb liegen einige von Tempeln begrenzte
Staubecken, die eine Wasserversorgung der Festung auch bei
längeren Belagerungen gewährleisteten.
Als nächste
bedeutende Sehenswürdigkeit liegt etwa 600 m südlich des
Siegesturms rechter Hand der Kalika Mata-Tempel , der
wahrscheinlich aus dem späten 7. Jh. stammt und damit zu
den ältesten Bauwerken des Forts gehört. Er ist aus einem
Suryaheiligtum hervorgegangen, das später der Göttin Kali
geweiht wurde. Wie der oben erwähnte, etwas jüngere Kumba
Syana-Tempel weist auch er einen Grundriß mit Ambulatorium
und Plattform auf, und auch hier gibt es vier
vorspringende Balkone. Der Tempel vereint Merkmale
westindischer mit zentralindischer Tempelbaukunst. Im
zentralen Geviert der Decke des Mandapa ein Medaillon mit
Vishnu, umgeben von Engeln mit Girlanden. Ganz
außergewöhnlich ist der Eingang zum Allerheiligsten mit
hochgezogenem Giebelfeld, das den aus dem Fels gehauenen
Reliefs früher Hoehlentenmpel ähnelt.
Zentrale
Figur, gleich zweifach vertreten, ist Surya, der
Sonnengott, dem der Tempel ursprünglich geweiht war. Das
obere, größere Bild zeigt ihn von einer Flammenaureole
umschlossen auf seinen sieben Pferden, flankiert von
seinen Helfern, Danda und Pingala. Aus seinen Schultern
entspringen zwei Frauenfiguren mit Pfeilen, die die Morgen
– und Abenddämmerung symbolisieren. Rechts der Aureole ist
ihm Hara Gauri zugesellt, links Vishnu auf dem Garuda.
Aber noch viele weitere Kleinodien früher Mauryaplastik
birgt der Kalika Mata-Tempel. Besonders ausdrucksvolle
Wächtergottheiten findet man in den Nischen der Außenwände
des Sanktuariums: rechts neben dem Eingang Ishana mit
Bulle, links Indra mit Elefant, im Zentrum der südlichen
(linken) Wand Surya, rechts davon vierarmiger Agni, links
Yama, an der südwestlichen Wand (Rückseite) rechts Nirriti
und links Varuna (Westen), and der nördlichen im Zentrum
Surya, rechts Vayu (Wind-), links Soma (Mondgott).
Dem Tempel
schräg gegenüber liegt der Padminipalast , der allerdings
in seiner heutigen From erst aus dem 19. Jh. stammt,
immerhin aber beweist, dass man schon zu Rana Kumbhas
Zeiten, als der ursprüngliche Bau entstand, eine Vorliebe
für sogenannte Wasserpaläste entwickelt hatte, wie sie
dann z. B. In Jaipur üblich wurden.
Padmini, die
Tochter des Herrschers von Sri Lanka, war mit Bhim Singh,
dem Onkel des damaligen Mewarfürsten Rana Ratna Singh,
verheiratet und wegen ihrer Schönheit im ganzen Land
berühmt. Sultan Ala-ud-Din Khilji, der Herr über Delhi und
Umgebung, versprach 1303 die Belagerung Chittaurgarhs
abzubrechen, wenn er einen Blick auf Padmini werfen dürfe.
Die flüchtige Vision im Spiegel reichte wohl aus, die
Begierde des wilden Kriegers zu entfachen. Durch List nahm
er Bhim Singh gefangen und verlangte als Lösegeld die Hand
Padminis. In den tief verhängten Sänften wurden jedoch
nicht die Fürstengemahlin und ihre Zofen ins Lager der
Muslime getragen, sondern entschlossene Rajputenkrieger
mit gezückten Säbeln, die Bhim Singh befreiten, dadurch
allerdings die Rache Ala-ud-Dins auf sich zogen. Als sich
die Festung nicht mehr halten konnte, entschlossen sich
die Bedrängten zum ersten Jauhar, dem kollektiven
Selbstmord, bei dem auch Padmini dem Scheiterhaufen
bestieg und Bhim Singh im Zweikampf sein Leben verlor. Ob
Padmini allerdings jemals hier residiert hat, weiss man
nicht.
Der
Rundgang führt nun zur Ostseite der Festungsanlage
hinüber, wo man auf das Suraj Pol triff, den einzigen
Zugang an dieser Flanke. Der angrenzende Nilakantha
Mahadevatempel mit einem schwarzen Lingam in der Kultzelle
ist Pilgerziel der Shivaiten.
Ein Stück
entfernt liegt der kleinere Kirthi Stambha (Ruhmesturm),
der bereits im 12. Jh. von einem Jainkaufman gestiftet und
dem ersten Furtbereiter Adinatha geweiht wurde. Der
siebenstöckige Bau wirkt insgesamt gedrungener als der
nicht weit entfernte Siegesturm und fällt durch seine
betonte Akzentuierung der einzelnen Stockwerke auf. Auch
hier tragen die Wände Reliefschmuk, darunter Figuren
luftgekleideter Jains. |
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