Sati & Jauhar
Unter den zahllosen Riten jenes
fremden Indiens gab es einige, deren Grausamkeit die Reisenden früherer
Jahrhunderte zutiefst betroffen machte und die besonders in Europa Aufsehen
erregten. Die meisten dieser Riten sind mittlerweile auch in Indien in
Vergessenheit geraten. Erhalten blieb die Erinnerung an die Sati, die
Witwenverbrennung. Dieser Brauch, der in den Augen des Volkes die
Heldenhaftigkeit der indischen Frau bezeugt, kann seit etwa dem 14. Jhdt.
nachgewiesen werden.
Können wir leugnen, daß uns dieser grausame Ritus mit Neugier erfüllt? Obwohl es
noch im 19. Jhdt. jährlich bis zu 2000 Sati-Fälle gegeben hat, läßt sich doch
nur weniger als ein halbes Dutzend europäischer Augenzeugen benennen, die
übereinstimmend folgendes berichten: Die Frau gab kurz nach dem Tode ihres
Ehemannes bekannt, daß sie Sati verüben wolle. Niemand versuchte, sie von dem
Vorhaben abzubringen. Man betrachtete sie als Eigentum des Mannes, das mit
dessen Tod seinen Sinn und seine Daseinsberechtigung verloren hatte. Wer sollte
die Frau nun aufnehmen? Eine Wiederverheiratung war ausgeschlossen. Hätte sie
einen Sohn gehabt, so hätte er sie ernähren können. So aber mußten die
Schwiegereltern für sie sorgen. Ihre eigenen Eltern hatten sich einst mit der
Mitgiftzahlung von dieser Pflicht freigekauft. So ist es nur verständlich, wenn
die Schwiegereltern, die kaum sich selbst ernähren konnten, die Absicht der Frau
mit Genugtuung aufnahmen. Das war nach Manus Gesetzbuch der Wille der Götter.
Während am Fluß die Totenfeiern für den Mann vollzogen wurden, nahm die Frau ein
letztes Bad, zog einen safranfarbenen Sari an, schmückte sich mit Blumen und
ihren Hochzeits schmuck und bemalte ihre Hände mit einem Mehndi-Muster. Draußen
warteten die Frauen ihrer Familie darauf, sie zum Fluß zu geleiten, wo bereits
der Scheiterhaufen errichtet war. Auf dem Weg dorthin hinterließ die Frau an
einem Tempel den Abdruck ihres Mehndi, der noch lange nach ihrem Tod an ihre
Heldenhaftigkeit erinnern wird. Um den Scheiterhaufen drängten sich bereits die
Bewohner des Dorfes, die neugirerig das Schauspiel erwarteten. Der Leichnam des
Mannes wurde mit dem Gesicht zum Fluß auf den Scheiterhaufen gelegt.
Währenddessen rezitierten die Brahmanen die heiligen Texte, die von der Frau
wiederholt wurden. Bald verfiel sie in Trance. Es mußten noch etliche rituelle
Handlungen vollzogen werden, bis man endlich die Frau emporhob und neben ihren
Gatten legte. Sie wurde mit einem Strick an den Leichnam ihres Mannes gebunden.
Reisig wurde aufgelegt, dann konnte niemand mehr die Körper sehen. Mit
Bambusstangen preßte man das Ehepaar fest auf den Scheiterhaufen, der gleich
darauf angezündet wurde. In die schnell emporlodernden Flammen warf man Ghee,
womit das Feuer noch verstärkt wurde. In der Weise, wie die Körper aneinander
gebunden waren, war es der Frau unmöglich, laut zu schreien. Das Feuer und die
Stimmen der Zuschauer übertönten jades Winseln.
Nach wenigen Minuten war ein lauter Knall zu hören, dann ein zweiter. Beide
wurden mit großem Beifall aufgenommen: die Skelette waren auseinandergeplatzt,
die Seelen hatten ihren Körper verlassen.
In der Verbrennung eines Leichnams setzt sich die vedische Tradition des
Feueropfers an den Gott Agni fort. So bahnt die geweihte Flamme dem Toten und
auch der verbrennenden Witwe den Weg zur Sonne. Mit der wachsenden Zahl der Sati
Fälle entwickelte sich der Brauch zumindest in den oberen Kasten, insbesondere
für die Frauen von Maharajas, zu einer gesellschaftlichen Pflicht. Erst 1829
sprach die britische Regierung unter Protest der Brahmanen das Verbot für die
Sati aus. Seither ist die Witwenverbrennung illegal. Am 13. April 1980
erschienen in der ,,IIIustrated Weekly“ erstmals Fotos einer Sati. Sie waren
einen Monat zuvor in einem kleinen Dorf in Rajasthan entstanden, wo man vor dem
Zugriff der Polizei sicher war.
Um einen änlichen Ritus wie der Sati handelt es sich beim Jauhar, der vor allem
in Chittorgarh und Jaisalmer verübt wurde. Wenn die Stadt belagert wurde und
keine Aussicht auf Rettung mehr bestand, verbrannten sich alle Kriegerfrauen auf
einem großen Platz, und ihre Männer warfen sich einen letzten, aussichtslosen
Kampf. Dabei starben zumeist mehrere Tausend Menschen. Der Kriegernachwuchs
rekrutierte sich aus den Söhnen der Verstorbenen oder aus Söldnern. Akbar, der
letzte Belagerer Chittorgarhs, erkannte dies, und so ließ er bach seinem Sieg
alles Volk, das ihm in die Hände fiel, hinrichten. Der wohl tragischste Fall
eines Jauhar ereignete sich im 16. Jhdt. in Jaisalmer unter Maharawal Lunkeran,
als Pathan Amir Ali die Stadt mit einer List erobern wollte. Er hatte ein
Treffen seiner Frauen mit den Ranis gebeten, jedoch Soldaten in die
Frauenkleider gesteckt. Als Lunkeren den Trick durchschaute, tötete er, da keine
Zeit für die Errichtung eines Scheiterhaufens war, seine Frauen mit dem Schwert.
Sein Handeln erwies sich als überstürzt, denn Amir Ali konnte geschlagen werden.
In Jaisalmer nennt man diese Episode ,,Halbes Jauhar“. |