in der sich die Plastik in
handwerklich höchster Vollendung barock entfaltet, die
hinduistische Götterwelt zum Leben erweckt und in
überschwenglicher
Erzählfreude die unerschöpfliche Vielfalt
der Epen und
Mythen an Pfeilern, Kuppeln und Friesen darstellt. Der Adinatha geweihte Tempel wurde von Vimala Shah gestiftet,
einem reichen Kaufmann aus Gujarat und Minister unter König
Bhima Dev I. Vor Baubeginn mußte er vom lokalen Herrscher
Dhara das Grundstück, das vorher Shiva heilig war, erwerben
– und zwar indem er die Bodenfläche mit Silbermünzen
bedeckte! 14 Jahre lang waren 1500 Künstler und 1200
Arbeiter unter der Aufsicht des damals berühmtesten
Architekten Kirthidar damit beschäftigt, dieses Meisterwerk
aus dem fast transparent wirkenden weissen Marmor der 20 km
entfernten Steinbrüche von Arasoori zu schaffen.
Im Jahre 1311 wurde das Heiligtum, wie auch die anderen
Tempel der Anlage, durch Ala-ud-Din Khilji, den
Muslimherrscher aus Delhi, erheblich zerstört, dann wieder
liebevoll und sachkundig restauriert. Der 33 m lange und 14
m breite Bau besteht aus Sanktuarium, geschlossenem Vorraum,
einer vorgelagerten schmalen Säulenhalle, die alle auf einer
gemeinsamen Plattform ruhen, und der ebenerdig zwischen
Eingang und Cella eingefügte Tanzhalle. Umgeben ist dieser
zentrale Bereich von einer etwas erhöht verlaufenden Galerie
mit doppelter Säulenstellung und insgesamt 57 in die Wand
eingelassenen Zellen, in denen die recht uniformen Figuren
der Tirthankaras (Furbereiter) ihren Platz haben. Umso
prachtvoller und abwechslungsreicher ist hingegen der
Deckenbereich gestaltet. Der Rundgang erfolgt üblicherweise
im Uhrzeigersinn entsprechend der Zellennumerierung.
In Zelle 1 befindet sich das Idol des Neminatha, des 22.
Tirthankara, der an seinem Hochzeitstag der Welt entsagte
und auf dem Mount Girnar als Asket die höchste Stufe der
Heiligkeit erlangte. An der Decke sind Lotusblüten, Löwen, Tänzer
und Musikanten. Ähnlich gestaltet sind die Eckenrosetten der Schreine, bereichert durch Vögel und Frauen mit
Opfergaben. Über der Zelle Nr. 8 predigt ein Acharya, ein
Meister. Darüber sind die wichtigsten Momente im
Leben eines Furtberiters dargestellt (Geburt, Verzicht,
Erlangung der Erkenntnis, Erlösung). Bei Zelle 10 erfährt
der Betrachter einige Episoden aus dem Leben Neminathas
(Spiel mit Vetter Krishna und den Gopis, das Blasen von
Krishnas Muschelhorn, Hochzeitszug und Erlangung der
Erkenntnis). Über Zelle 11 findet sich eine schöne
Darstellung einer vierzehnarmigen Göttin. In der Ecke,
zwischen den Zellen 22 und 23, hat ein Bildnis von Adinatha,
dem ersten Furthreiter, seinen Platz. Der Tempelstifter
selbst soll es, geleitet durch einen Traum, gefunden und
dann hier aufgestellt haben. Besondere Beachtung verdienen
die Arbeiten über Zelle 32.
Im Zentrum besiegt Krishna den Schlangendemon Kaliya,
umgeben von einigen Schlangenköniginnen. Oben spielt er mit
seinem Bruder Ball. Bei den Nummern 42 unten liegt er
bewußtlos im Schlangenpfuhl. Bei den Nummern 42 und 43 steht
die Gottheit Lakshmi im Mittelpunkt, begleitet von weiteren
Göttern wie Indra, Varuna, Yama und Kubera. Um die
Lotusblüte bei Zelle 44 reihen sich die Göttinnen
Saravasti, Lakshmi und Kali mit ihren Reittieren (Vahana).
Bei Nummer 49 begegnet uns im Zentrum des Lotus der Mannlöwe
(Narasimha), die vierte Inkarnation Vishnus, der den Dämon
Hiranyakashipu mit seinen Klauen tötet. Wir sind nun wieder
am Eingang und treten unter die große flache Kuppel der von
zwölf kunstvoll ornamentierten Säulen gestützten Tanzhalle.
Sie entstand erst im 12. Jh. und wurde nur mit einer
flachen, relative leichten Kragkuppel abgedeckt, um so einen
größeren Säulenabstand zu ermöglichen. Um die einzelnen
Ringe verlaufen Friesen mit Gänsen (Brahma und seine
Gefährtin Sarasvati haben eine Gans als Begleittier),
Elefanten (einige halten mit den Rüsseln Menschen
umschlungen), Schwänen und Reitern, die Speichen tragen die
16 Göttinnen der Weisheit. Die Säulen sind mehrfach
waagerecht gegliedert und durch geschwungene ornamentierte
Bögen verbunden. Den Eingang zum Heiligtum, zu dem der
Zutritt für Nichtgläubige untersagt ist, bewachen zwei
Figuren von Parshvanatha, dem Propheten der Jains.
Vor dem Tempel liegt die eigenartig wirkende Säulenhalle
Hastishala, die ein Abkömmling des Vimala Shah Mitte des 12.
Jh. als Denkmal für seine Familie erbaut hatte. In drei
Reihen wurden hier Elefanten aus Marmor aufgestellt. Sie
sind jedoch ebenso wie die Statue des Stifters Vimala Shah
von den muslimischen Turppen im Jahr 1311 stark beschädigt
worden.
Stilistisch ganz ähnlich, jedoch 200 Jahre jünger ist der
etwas höher liegende Tejapala oder Luna Vasahi-Tempel. Er
wurde von den Brüdern Vastupal und Tejapal, einflußreichen
und vermögenden Ministern unter Raja Bhima Dev II. von Gujarat,
in Gedenken an ihren Bruder Luna im Jahre 1230 gestiftet und Neminatha geweiht.
Auch dieses Heiligtum wurde Opfer des muslimischen Überfalls
von 1311 und erhielt erst 1321 eine neue Kultfigur. Wieder
begegnet uns die überbordende Vielfalt plastischer
Gestaltung; teilweise wirkt sie in ihrer spätbarocken
Ausprägung jedoch etwas überladen, obwohl die einzelnen
Arbeiten wunderbar sind. Der rings um den Hof laufende
Säulengang weist 52 den Fortbereitern und Göttinnen geweihte
Schreine auf.
Über Zelle 1 begrüßt uns die Muttergottheit Ambika, die bei
den Jains dem Neminatha als Botin dient. Über den Zellen 2
bis 6 begegnen uns Tänzerinnen, Schwäne und Pflanzen. Bei
Zelle 9 zeigt sich eine interessante Szene mit Booten,
Fischen und den Tempel von Girnar, umgeben von Mönchen,
Nonnen und Laien. Über Zelle 11 wird wieder das
Hochzeitsthema aus dem Leben des Neminatha aufgegriffen, als
er sich kurz vor der Eheschließung dem Asketentum zuwandte.
Vergeblich wartet seine Braut Rajmati auf ihn. Zwischen den
Zellen 14 und 16 wird das Leben von Parshva und dem 16.
Fortbereiter und Weltenherrscher Shanti illustriert. Entlang
der gesamten Ostwand ist die Galerie durch Steingitter,
hinter denen zehn Marmorelefanten aufgereiht sind,
verschlossen (Die Jains haben ähnlich den Hindus ihren
Gottheiten Tragtiere zugeordnet). Der Elefant ist der
Begleiter (Lanchana) des zweiten Fortbereiters Ajitanatha.
Prunkstück des Tempelinnern ist zweifellos die wie ein
Lüster gestaltete Kuppel über der Tanzhalle mit den 16
Göttinnen der Weisheit auf den Konsolenträgern und 360
winzigen, im Kreis angeordneten Figuren von Mönchen und 72
Tirthankaras. Bemerkenswert auch die aus 108 Blättern
geformte Lotusblüte im Deckenbereich der südwestlichen Ecke
der Tanzhalle. Auf jedem Blütenblatt ist eine der Haltungen
des klassischen indischen Tanzes abgebildet. Der gegenüber
dem Vimalaheiligtum liegende Pittalhar-Tempel (15. Jh.)
enthält ein Bronzebildnis des Adinatha. Hinsichtlich der
Dekoration kann er sich allerdings nicht mit den beiden
anderen Bauten messen, zumal er offensichtlich unvollendet
blieb. Unterhalb hat jenseits des Zugangswegs der aus dem
15. Jh. stammende Kultbau des Parshvanatha seinen Platz. Wie
das Heiligtum von Ranakpur weist er vier Tanzhallen und ein
Sanktuarium mit vier Eingängen auf und gehört damit zum
Typus eines Chaumukhabaus. Im Gegensatz zu Ranakpur sind die
Mandapas hier aber noch nicht durch Eckschreine zu einem
geschlossenen Quadrat verbunden und mit einer Mauer gegen
die Außenwelt abgeschirmt. Zur Dekoration gehören einige
schöne Wächterfiguren aus grauem Sandstein.
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