Die Geschichte Rajasthans lässt sich grob bis in die Zeit zwischen
3000 und 2000 v.Chr. zurückverfolgen, in der laut aktuellem
Forschungsstand die sogenannte Indus-Zivilisation das Gebiet
erschlossen hat. Ausgrabungen haben ergeben, dass diese bronzezeitliche Stadtkultur bereits Straßennetze , Kanalisationen
und Lehmziegel kannte und somit den Weg für die weitere Besiedlung
Rajasthans ebnete. Als Ursache für den Untergang dieser Zivilisation
werden oft Naturkatastrophen, Aufstände und Wassermangel ins Feld
geführt, einen genauen Beleg gibt es jedoch nicht.
Um 1500 v. Chr. wanderten kriegerische Indoarier aus den
zentralasiatischen Steppen ins heutige Indien ein und änderten dabei
wie wohl kein anderes historisches Ereignis , das Gesicht des
Subkontinentes. Sie führten nicht nur eine überlegende Waffentechnik mit sich ,
sondern auch eine mit strengen Ritualen verknüpfte Religion, die den
Priestern den höchsten sozialen Rang einräumte. Darüber hinaus
wurden Krieger und Handwerker Privilegien eingeräumt , die sie
deutlich von den (zahlenmäßig eigentlich überlegenden) Ureinwohner
abgrenzten : Das Kastenwesen war geboren! Schon bald zerfiel das Herrschaftsgebiet der Indoarier in viele
kleine, oft verfeindete Gemeinschaften; die erst 321 v. Chr. unter
dem Herrscher Changdragupta Mayura, in ein erstes Großreich zusammen
gefasst wurden. Die strengere Ordnung die damit einher ging, förderte den Handel
(sogar bin nach Europa), der wiederum Reichtum und Wohlstand
bedeutete.
Je wohlhabender das Reich wurde, desto größer wurden aber auch die
Gebiets – bzw: Besitzansprüche einzelner Clans und so zeichnete sich
die Geschichte Rajasthans fortan als eine Geschichte unzähliger
Dynastien, verschiedener Zuwanderungswelle, kriegerischer Invasionen
und großer Schlachten aus. Auch heute findet man noch überall in der
Provinz prunkvolle Paläste und mächtige Forts, die sowohl vom Glanz
als auch den brutalem Auseinandersetzungen früherer Zeiten zeugen.Immer wieder liest man in den historischen Schriften, dass zum Teil
Tausende von Männern in eine aussichtslose Schlacht zogen, während
Ihre Frauen und Kinder „Jauhar“ den rituellen Selbstmord auf dem
Scheiterhaufen suchten.
Neben den inneren Konflikten auf Grund von Erbfolge Streitigkeiten
und traditionellen Feindschaften zwischen den einzelnen
Fürstentümern, begannen im 10. Jh. die islamischen Invasionen.Da die
strenge Kastenordnung, eine effiziente Gegenwehr der Rajputen gegen
diese islamischen Heere unmöglich machte, waren einige Gebiete schon
bald in islamischer Hand. Gleiches galt für die Ankunft der Monguln
und die spätere Kolonialisierung durch die Europäer. Zuletzt bestand das Reich der Rajputen aus 19 kleinen
Fürstenstaaten, die im Zuge der indischen Unabhängigkeit in einem
langen Integrationsprozess von 1948 -1956 zum heutigen Rajasthan
zusammen geführt wurden. Die Maharajas , die als Nachkommen
einstiger Dynastien nach wie vor einen gewissen gesellschaftlichen
Status geniessen, besitzen seither keinerlei ausübende Gewalt mehr.
Obgleich sie teilweise in dekadenten Palästen leben und zu den
reichsten Männern des Landes gehören, sind auch Sie nun ein Teil der
größten Demokratie der Welt.
KULTURELLE
SYNTHESE
Unerschrockene Reisende und frühe Kaufleute waren die ersten, die
die Kunde von Indiens sagenhaftem Reichtum in das entfernte Europa
und nach Fernost trugen. Auch buddhistische Pilger und Gelehrte aus
Ost und West machten sich vor 2000 Jahren zum indischen Subkontinent
auf, um die sanfte Philosophie von Buddha zu studieren und die
heiligen Stätten zu besuchen. Diese so grundverschiedenen Interessen
für Religion und Handel ließen das Bild eines Landes entstehen, das
reich an Nutzholz, Mineralien und Edelsteinen war, dessen geschickte
Handwerker die feinsten Textilien, Juwelen und Artefakte schufen und
in dem es unzählige Gurus, Lehrer, Mathematiker und Gelehrte,
Einsiedeleien, Universitäten und glanzvolle Städte gab.
Der Reiz dieser Städte bewirkte, daß entlang der indischen Küste und
durch das Himalayagebirge Handelsrouten eröffnet wurden. In der
Frühzeit des Christentums hatten arabische Kaufleute bereits
Kontakte zu Indien und dem Fernen Osten geknüpft, was durch regen
Gadanken – und Innovationsaustausch zu einer gewissen Annäherung
führte. Mit der Entstehung des Islam 700 n. Chr. gewannen jedoch
Machthunger und Eroberungsdrang die Oberhand, von denen auch
Spanien, Afrika, Mittel- und Zentralasien, China und Java nicht
verschont blieben. Wieder einmal war Indien mit anderen Ländern
durch das subtile Netz der Gedanken des Islam sowie politische,
wirtschaftliche und soziologische Inter-essen verbunden. Dies hatte
eine Synthese aus technologischen Neuerungen und kultureller
Entwicklung zur Folge.
Die über viele Jahrhunderte hinweg blühende indo-islamische Kunst
konnte unter Beibehaltung ihres internationalen Grundtenors und mit
Hilft hochbegabter einheimischer Künstler eine für Indien
einzigartige Variante hervorbringen. Die größtenteils
unbekanntenKünstler hatten das Potential natürlicher Ressourcen wie
Lehm, Holz, Stein und Metall ausgeschöpft und daraus sowohl
monumentale Tempel als auch Kinderspielzeug geschaffen. Der Islam
stellte ihre Kunstfertigkeit und Erfindungsgabe schließlich vor eine
neue Herausforderung.
Gebetsstätten: Im Zentrum des islamischen Glaubens steht der
gemeinsame Gottesdienst, für den die neuen Siedler in Indien
geeignete Gotteshäuser benötigten. Es gibt drei Arten von Moscheen
oder masjids: die Idgah für große Versammlungen während des Id und
zu religiösen Festen, die Freitagsmoschee Jama, Juma oder Jami
Masjid und der Gebetsteppich, auf dem sich Gläubigen fünfmal täglich
in Rachtung Mekka und Kaa’ba, der axis mundi der islamischen
Kosmologie, neigen. Da die Anbetung von Bildern im Islam verboten
ist, war der kleine Teppich ein hoch-geschätztes Element des
religiösen Rituals, Die im Mittleren Osten, Persien, Afghanistan und
Indien entstehende Kunst des Teppichwebens führte zu einer
breitgefächerten Palette von Gebetsteppichen aus Wolle, Seide und
Baumwolle, die den Bedürfnissen von Plebejern und Patriziern
gleichermaßen gerecht wurden. Meist sind sie mit Borten und
kalli-graphischen Zitaten aus dem Koran verziert.
Eine Moschee besteht aus einem Innenhof mit umlaufenden Galerien und
einem großen, nach Mekka ausgerichteten Platz für das Gebet. Die
nach Mekka weisende Wand (qibla) zeichnet sich durch eine
Gebetsnische (mihrab) aus, die mit Versen aus dem Koran geschmückt
ist. Die erste Moschee dieser Art in Indien war die 1192 erbaute
Quwwat-ul-Islam (Macht des Islam), die Qutb-ud-din Aibak
zugeschrieben wird. Von ihm stammt auch der Qutb Minar neben der
Moschee. Der minar ist ein wesentliches Merkmal aller Moscheen, ein
hoher Turm, von dem aus der Muezzin die Gläubigen zum Gebet aufruft.
Die Form reichte in der islamischen Welt von einfachen viereckigen
Türmen bis hin zu kunstvollen runden oder vieleckigen
Konstruktionen. Doch noch nie wurde ein derart atemberaubender Turm
wie der Qutb Minar in Indien erbaut.
Eine große Herausforderung für die geschickten indischen Handwerker
war die Errichtung einer Bogenhalle auf der qibla-Seite der Moschee.
Das Konstruktionsprinzip eines Bogens war eine technologische
Neuerung die der Islam nach Indien brachte. Zum ersten Mal war die
Spannweite zwischen zwei Wänden oder Pfeilern nicht auf einen
einzigen Stein- oder Holzbalken beschränkt. Die weiten
Bogenöffnungen machten hohe, breite Eingänge und Fenster möglich,
die die Bauweise generell veränderten. Anfänglich zögerten die
einheimischen Handwerker noch und stützten die Bogenkonstruktion oft
zusätzlich mit Balken und Trägern oder füllten sie teilweise aus, so
daß eine Mischung aus hinduistischem und islamischem Baustil
entstand. Mit der Zeit schwangen sich Bogen und Kuppelgewölbe jedoch
in luftige Höhen und überspannten weite Räume, um lichtdurchflutete
Bauwerke zu schaffen, die für die indoislamische Architektur
charakteristisch wurden. Das wachsende Selbstvertrauen der Künstler
spiegelt sich in späteren Bauten wider – wie in der von Akbar in
Fatehpur Sikri errichteten Moschee oder der Moti Masjid, die
Aurangzeb im 17. Jahrhundert im Roten Fort schuf. Perfekte
Ausführung, dezente Dekoration, das indische Lotus-Muster, Mosaike
mit islamischer Kalligraphie sowie die harmonische Symmetrie der
Kuppeln und Bogen der Jama Masjid in Delhi zeichnen die
Moschee-Architektur in Indien als Könung jahrhundertelanger
künstlerischer Bemühungen aus.
Grabstätten von Heiligen und Herrschern: Ähnlich wie im Christentum
glaubt man auch im Islam an das Jüngste Gericht, das über die Seelen
der Toten richtet und sie ihren Taten entsprechend in den Himmel
oder in dei Hölle schickt. In der ganzen islamischen Welt werden die
Toten in nach Mekka ausgerichteten Gräbern bestattet, die manchmal
mit einem niedrigen Grabstein versehen und nur vom “Himmelszelt”
bedeckt sind. Später wurde diese Metapher bei bedeutenden Gräbern
durch Stoffbaldachine und gemauerte Kuppeln versinnbildlicht.
Grabstätten von Heiligen und Dichtern wurden innerhalb der
Moscheenkomplexe errichtet, um Pilger anzuziehen. Bis heute sind
diese dargahs oder Mausoleen erfüllt von andächtiger Musik (qawwalis),
Gebetsrezitationen und dem geschäftigen Treiben der Gläubigen. Mit
dem alljährlichen Urs und religiösen Festen wurde das Leben des
jeweiligen Heiligen gefeiert. Zu den wohl wichtigsten islamischen
Pilgerzentren in Indien zählen das Grabmal von Hazrat Nizamud-din
aus dem 13. Jahrhundert in Delhi, von Shaikh Salim Chisti in
Fatehpur Sikri und Khwaja Moinuddin Chisti in Ajmer.
Ähnlich verhielt es sich mit den Königsgräbern, die sich von
einfachen quadratischen Kuppelstrukturen zu Bauwerken
beeindrukkenden Ausmaßes entwickelten. Das erhöhte Grab befand sich
in einem leeren Raum, in dem das ganze Jahr über Andachtsmusik
erklang und Verse aus dem Koran zitiert wurden. Oft war es jedoch
leer und der Leichnam des Königs in einer streng bewachten
unterirdischen Kammer untergebracht, um ihn vor Grabschändern zu
schützen. Das Mausoleum befand sich meist inmitten eines Parks und
war oft von einer Mauer umgeben, um den Zutritt auf
Familienmitglieder und Freunde zu beschränken. An der Westseite
wurde häufig eine Gebetmoschee errichtet, ergänzt durch ein
zusätzliches Gebäude an der Ostseite, um die Symmetrie der Anlage zu
wahren. Der Park mit seinen süß duftenden Blumen, immergrünen
Bäumen, sanft zwitschernden Vögeln und dem Gluckern des
lebensspendenden Wassers war eine poetische Metapher für das
Paradies.
Dieses Thema wiederholt sich mit Blumenmotiven in den
architektonischen Ornamenten, Stoffen und Teppichen der islamischen
Welt jener Zeit. Der ursprünglich quadratische Grabmalsgrundriß nahm
später eine achteckige Form an, wie im Taj Mahal und im Grabmal von
Humayun zu sehen ist. Darüber wölbte sich meist eine Kuppel, mit
Ausnahme des Grabmals von Akbar in Sikandara und von
Itimad-ud-Daulah in Agra. Akbar bevorzugte den hinduistischen Stil
mit reich verzierten Pfeilern, auf denen flache Dächer ruhten, mit
Steinbalken, überhängenden Dachvorsprüngen und Trägern, wie bei
seinem Panch Mahal in Fatehpur Sikri zu erkennen ist. Durch offene
Hallen, die auf mehreren Ebenen von Pfeilern gestützt werden, wirkt
das Bauwerk leicht und anmutig. Für Paläste und Grabmäler wurde mit
Gips überzogener Bruchstein verwendet, und die Stukkaturen waren
bemalt oder mit Keramikfliesen verziert.
Vom 13. bis zum 15. jahrhundert verwendeten die Künstler für die
islamischen Bauten in Delhi bunte Fliesen, um Eingänge und Bögen
getreu dem künstlerischen Erbe aus dem Mittleren Osten mit
Zierleisten und Tafeln zu schmücken. Der indische rosa Sand-stein
und weißer Marmor sorgten für reizvolle Kontraste an den Fassaden.
Geometrische Ornamente wie Quadrate, Kreise und ineinendergreifende
Formen existierten neben Arabesken aus Kletterpflanzen, Blumen und
Bäumen, die Gemälden entsprungen zu sein scheinen. Mit der Zeit
wurden die Fliesenornamente durch verschiedenfarbige Bausteine
ersetzt, die sich zu einem charakteristischen Merkmal
indo-islamischer Baukunst entwickeltern. Bei den Grabstätten von
Ghiyas-ud-din Tughlaq und Humayun wölbt sich eine Kuppel aus weißem
Marmor über dem mit rosafarbenem Sandstein gestalteten Hauptraum des
Gebäudes. Itimad-ud-Daulahs Grab in Agra und das Taj Mahal sind ganz
in weißem Marmor gehalten, was diesen Bauwerken eine völlig neue
Dimension von Schwerelosigkeit und Glanz verlieh. Geometrische
Figuren aus farbigem Marmor und Sandstein wurden zu kunstvollen
Mustern zusammengefügt und in die Steinmauern eingearbeitet. Akbars
Enkel Shahjahan verwendete im Taj Mahal zwar Mosaiken, reduzierte
jedoch die dafür vorge-sehenen Flächen, da er die
Marmoreinlegear-beiten durch Edelsteine und Halbedelsteine ergänzte.
So umfaßt eine einzige Blume über 60 geschliffene Steine feinster
Farbabstufungen, die gemäldegleich die Blütenblätter und
pollenbeladenen Staubfäden darstellen.
Aus historischen und politischen Gründen war das hinduistische
Königshaus von Rajputana vielleicht am stärksten von der Kultur der
Moguln beeinflußt. Der Glaube der Hindus an die Reinkarnation
verneint die Notwendigkeit von Grabmälern. Doch war es Tradition.
die Stelle zu markieren, an der ein Krieger starb oder verbrannt
wurde. Deshalb errichteten die Rajputen chhatris oder hohe, offene
Pavillons mit Pfeilern und Kuppeln, um ihrer toten Helden zu
gedenken.
In den Forts und Palästen von Delhi, Agra und jaipur kann man sich
heute einen flüchtigen Eindruck vom Lebensstil der Herrscher
verschaffen. Das Konzept ihrer befestigten Paläste entsprach den
Grundprinzipin islamischer Architektur: Ob in einem Haus, Palast
oder Fort, öffentliche und private Bereiche waren stets streng
abgegrenzt. Die vor den Augen der Öffentlichkeit abgeschirmten
Pri-vatgemächer lagen relativ weit vom Eingang entfernt. Ähnlich dem
Schleier moslemischer Frauen trennten Steinmauern und Wandschirme
die Lebensbereich der Familie und des Harems ab. Die Gemächer waren
nur spärlich möbliert und konnten so für verschiedenste Zwecke
genutzt werden. Der Reichtum des Besitzers spiegelte sich in
Wandbehängen, Teppichen, Polstern. Kissen, niedrigen Bücherständern
mit bebilderten Ausgaben des Korans sowie verschiedenen
Haushalts-gegenständen wider, die nach Lust und Laune verrückt
werden konnten. Heute sind die Paläste von Delhi, Agra und Jaipur
leer. Nur durch eine genauere Betrachtung von Miniaturmalereien aus
der damaligen Zeit kann man sich vorstellen, wie herrlich diese
Bauten einst ausgestattet waren.
Da es in Delhi, Agra und Jaipur während der Sommermonate sengend
heiß und staubig ist, verwendete man dicke Steinmauern zur
Isolierung sowie große Fenster und Türen für einen ausreichenden
Luftdurchzug. Filigrane Gitterschirme oder jalis sorgten dafür, daß
das starke Sonnenlicht gebrochen wurde und nicht mit ungehinderter
Kraft eindringen konnte. Stoff- und Grasmatten über den Eingängen
wurden zur Kühlung der Gemächer mit Duftwasser besprengt. Im Roten
Fort in Delhi sorgten Brunnen in Gebäuden Gärten für angenehme
Frische.
Es gibt nicht viele Bauten innerhalb dieser Forts, da die an das
Normadenleben gewöhnten Moguln wenige feste Behausungen errichteten
und statt dessen farbenprächtige Zelte und Pavillons aufstellten, wo
sie die kühlen, duftgeschwängerten Sommerabende und warmen
Wintertage genießen konnten.
Aufgrund ihrer Vorliebe für Farbe und Glanz schmückten sie Kleider
üppig mit Gold, Silber und Edelsteinen. Durch die Ver-wendung von
Glas und Spiegeln, in denen sich das Licht der Kerzen und Lampen
fing. Glitzerten ihre Gemächer wie ein von Sternen übersäter
Nachthimmel. Dies gilt für die Sheehs Mahals im Roten Fort von Delhi
und Agra, aber auch für das Fort von Amber und viele andere Paläste.
Wasserkanäle, auf denen lris, Rosen und Narzissen schwammen,
durchzogen die Landschaftsgärten; um die Stimmungen des Himmels
einzufangen. Die gesamte Palastanlage sollte wie eine Oase der Ruhe
und üppigen Pracht wirken.
Jenseits der Befestigungsmauern, des Grabens und der schützender
Tore befanden sich die Häuser der Adligen und des gemeinen Volkes
sowie die Märkte. Handel und Eroberung sowie die Sicherung wichtiger
Handelsstraßen zu Lande und zu Wasser brachten Reichtum und
Wohlstand nach Agra, Delhi und Jaipur. In diesen Städten ist immer
noch ein Hauch der alten arabischen Karawan-sereien und Märkte zu
spüren. Wie in den souks von Damaskus waren Bereiche für den Verkauf
bestimmter Waren markiert, so daß die Karawanen der Kaufleute sofort
ihren Markt ausfindig machen, sich einen geeigneten Lagerplatz
suchen und ihren Geschäften nachgehen konnten. Ein Spaziergang durch
diese geschäftigen Marktstraßen kommt heute noch einer Reise in der
Vergangenheit gleich.
Malerei und Kalligraphie: Die drei großen Städte Delhi, Agra und
Jaipur zogen zahlreiche Künstler und Gelehrte an, die um die Gunste
der Kaiser und Höflinge buhlten. Größter Wertschätzung erfreuten
sich handgeschriebene Bücher, insbesondere der Koran, die heilige
Schrift des Islam. In der gesamten islamischen Welt wurden in den
Städten und Medresen (theologischen Schulen) über Generationen
hinweg Bücher handschriftlich kopiert. Die Kunts der Kalligraphie
kam zur vollen Blüte, als sich verschiedene Stilrichtungen
entwickelten. Arabesken und geometrische Muster umrahmten die Seiten
und machten jades Buch zu einem Kunstwerk. Bereits früher waren in
Indien Manuskripte und heilige Texte auf getrockneten, mit einer
Schnur zusammengehaltenen Palmblättern niedergeschrieben und mit
minutiösen Zeichnungen von Menschen, Tieren und Bäumen illustriert
worden. Daher waren die indischen Künstler bereits daran gewöhnt, im
Miniatur-maßstab zu arbeiten, als im Mittelalter das Papier aus
China eingeführt wurde.
Der präislamische und islamische Stil unterschieden sich sowohl im
Inhalt der Illustrationen als auch in ihrer Ausführung. In der
älteren Tradition wurden Schriften der Hindus, Jainas und Buddhisten
in klaren Primärfarben – Rot, Blau, Gelb, Gold, Weiß und Schwarz –
illustriert. Die Zeichnungen waren kühn, stilisiert, abstrakt und
von symbolischer Dichte. Die traditionelle Malerei aus Persien war
dagegen eine synthetisierte Kunstform, die mit detaillierten
Landschaftsdarstellungen, “chinesischen” Wolken, Vögeln und Tieren
eher naturalistische und lyrische Züge aufwies. Die Farben wurden
gemischt, um Schattierungen von Pink und Lila sowie weiche Grün-,
Braun-und Blautöne zu erzielen. Als diese beiden Traditionen in
Indien aufeinandertrafen, entwickelten sich breitgefächerte
Stilrichtungen, von der persisch beeinflußten Malerei zur Zeit
Baburs und Humayuns bis zum kraftvollen, dramatischen Stil der
frühen Akbar-Periode. Handschriften wie das Akbarnama beinhalten
Bilder, auf denen Menschen dicht gedrängt verschiedensten
Beschäftigungen nachgehen. Die Farben sind lebhaft, und jeder
Quadratzentimeter enthält unglaubliche Details von Stoffen,
Wanddekorationen, Juwelen, Tieren, Vögeln und Bäumen.
In der hinduistischen Tradition dienten Landschaften und
architektonische Details nur als Hintergrund für Menschen. Obwohl
den Künstlern die Regeln der perspektivischen Darstellung
wohlbekannt waren, wandten sie diese nur selten an. Sie
konzentrierten sich auf die Personen. Zum Auftragen der aus
pflanzlichen und mineralischen Stoffen gewonnenen und mit einem
Bindemittel vermischten Farben benutzten sie Pinsel aus Kamel-,
Eichhörnchen- oder Menschenhaar. Die Behandlung des saugfähigen
Papiers vor dem Farbauftrag und das Polieren mit einem glatten Stein
hinterher gehörten ebenfalls zu diesem Prozeß.
Die Mogulfürsten unterhielten große Ateliers, in denen mehrere
Künstler an Malereien und Handschriften arbeiteten. Das königliche
Tagebuch Nama wurde von jedem Herrscher geführt und von seinen Erben
wieder abgeschrieben. Das Baburnama, Akbarnama und andere Tagebücher
stellten regelrechte Schätze dar, deren Vollendung Jahre dauerte.
Die Themen der Mogul-Malerei reichten von Illustrationen aus dem
Leben des Herrschers bis hin zur Darstellung von Alltagssituationen.
Babur soll besonderen Wert auf die Abbildung von Tieren und Pflanzen
gelegt haben, die er in Indien zum ersten Mal gesehen hatte –
Bananenbäume, Elefanten, Nashörner und verschiedene Vogelarten. Die
beste Sammlung solcher Handschriften besitzen das National Museum in
London sowie diverse andere Museen in Eurpoa und Amerika.
In Rajasthan und den Bergstaaten Punjab und Himachal war die Malerei
von der Mogul-Schule geprägt. Obwohl sie den hinduistischen
Symbolismus und die Verwendung von Primärfarben übernahmen,
entwickelte jede Schule ihren eigenen Stil. Durch den Einfluß
europäischer Malerei wagten sich die indi-schen Künstler schließlich
an neue Themen, Porträts und Naturstudien.
In den Ateliers der Herrscher von Delhi, Agra und Jaipur wurden auch
viele andere Handwerksberufe gefördert. Jaipur gilt bis heute als
wichtiges Zentrum für Edelsteine und Gold- und Silberschmuck, Jade
aus China und Zentralasien wurde zu Stielen und Griffen für Dolche,
Weinkelche, hookah- Ständer und ähnlichem verarbeitet. Aus
verschiedenen Winkeln des Mogulreiches wurden Stoffe
herbeigeschafft, um die Häuser zu schmücken und die Adligen
herauszuputzen: feiner Musselin und Baumwolle aus Bengalen, gewirkte
Brokatseide aus Benares, Teppiche und Schals aus Kaschmir, bedruckte
und bemalte Stoffe aus Rajasthan, Gold-, Silber- und
Seidenstickereien aus Delhi, Uttar Pradesh und den Weststaaten.
Niedergang und Beginn einer neuen Ära: Mitte des 18. Jahrhunderts
brach das Mogulreich zusammen. Trauer und Verzweiflung legten sich
über Delhi und Agra nach den verheerenden Raubzügen von Nadir Shah
aus Persien, den sagenhafte Juwelen, Unmengen von Gold und andere
Schätze, einschließlich des einzigartigen Pfauenthrons, erbeutete
und Paläste und Häuser zerstörte.
Delhi und Agra büßten ihre Vorherrschaft ein, während die Franzosen,
Portugiesen und Briten sich an die Kolonialisierung von Bombay, Goa,
Madras, Pondicherry und Kalkutta manchten. Erst Jahre nach der
Zerschlagung des Mogulreiches trat Delhi wieder ins Rampenlicht, als
es 1911 zur Hauptstadt des britischen Imperiums in Indien erkoren
wurde.
Die britische Architektur in Delhi unterscheidet sich stark von der
in Bombay, Kalkutta oder Madras. Angesichts der gesichert
scheinenden Herrschaft war man bemüht, einen imperialen
anglo-indischen Architekturstil zu prägen. Rashtrapati Bhavan (die
Residenz des Vizekönigs) weist neben klassisch griechisch-römischen
Motiven, dorischen Säulen, Bogengängen und Kolonnaden auch indische
Zierelemente wie Lotusblüten und Elefanten auf und zeichnet sich
durch die Verwendung des farbigen Sandsteins aus. Die Wohnhäuser
britischer Beamter waren geprägt von einer eigentümlichen Mischung
indischer und europäischer Merkmale, um die bestmögliche Anpassung
an das Klima zu erreichen – hohe Decken, große Fenster und Türen,
seitliche Veranden zur Milderung der Sonneneinstrahlung sowie mit
englischen Bäumen und Blumen bepflanzte Gärten.
Heute bilden Delhi, Agra und Jaipur eine gigantische Collage, in der
die alten Monumente neben neuen Bauten existieren, das Schöne neben
dem Häßlichen. Die Erhaltung des kulturellen Erbes im Gesamtkonzept
der modernen Stadt bereitet den Denkmalschützern heute großes
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