Jodhpur –
Jaisalmer 290 km. via Pokaran (Ein Reisebericht)
Auf dieser Strecke behält die gnadenlose Öde der Steppe die Oberhand. Die
Sanddünen, die die Landschaft allenfalls interessant machen, werden durch
Bepflanzungen stabilisiert. Die Dörfer liegen in der Regel abseits der Straße.
Nur Hinweisschilder zeigen deren Lagen an. Es gibt also draußen nichts, womit
sich das Auge längere Zeit beschäftigen könnte. Kaum einer im Bus, der nicht
schliefe. Vor uns sitzt eine Frau, der immer wieder das Tuch vom Gesicht
rutscht, sobald sie einnickt. Dann zieht sie es mit schlaffer Geste hoch, um zu
verdecken, was niemand sehen soll, aber schon längst gesehen hat, falls er nicht
schläft. Das Tuch sitzt wieder, die Frau nickt ein, das Tuch löst sich, und sie
zieht es wieder über ihr Gesicht.
In Dechchu (135 km) machen wir die erste Pause. Tee, der in dieser Region
ohnehin selten verkauft wird, gibt es hier nicht. Dafür aber haben die Reisenden
gehügend Zeit, etwaigen Ballast loszuwerden. Die Männer verrichten ihre Notdurft
in Reichweite des Busses, wie sie es gewohnt sind, die Frauen sieht man hinter
Sandhügeln verschwinden. Im übrigen geben diese Hügel, die um Dechchu bis etwa
50 m hoch sind, der Landschaft einigen Reiz. Hinter dem Ort wird es fade. Die
Frau vor uns zupft bereits wieder an ihrem Tuch herum.178 km hinter Jodhpur
erreichen wir Pokaran, einen ehemaligen Sitz der Bhattis von Jaisalmer, die
spätere Hauptstadt des Thakurs von Marwar. Rao Maldeo von Marwar (1532 – 1584)
errichtete hier eine Festung und zerstörte auch die 5 km von Pokaran entfernte
Stadt Satalmer, eine Gründung Satals, des ältesten Sohnes Rao Jodhas. Doch
Pokaran macht nicht den Eindruck einer altehrwürdigen Stadt. Wir registrieren
nur, daß wir den Bus wechseln müssen und damit das Tuchzupfen für uns ein Ende
hat. Von Pokaran führt die Straße schnurgerade weiter. Gerade so, wie bei uns im
Winter Salz gestreut wird, sind hier Straßenarbeiter damit beschäftigt,
Sandhaufen vom Asphalt zu räumen. Wir fragen uns, ob sich der Aufwand bei dem
geringen Verkehrsaufkommen lohnt. Die Straße wird hauptsächlich von Kamelreitern
und Hirten mit ihren Schafherden benutzt.
Unseren neuen Busfahrer hätten wir eher als Pistolero zu Zeiten des Pancho Villa
eingestuft. Pausenlos redet er in einem ausgelatschten Rajasthani auf die
Fahrgäste ein und blickt dabei mehr hinter sich als auf die Straße. Was gibt es
da auch sehon zu sehen? Vor Jaisalmer steigt ein Balladensänger mit seinem Sohn
zu. Die beiden, die ihrer Kaste nach Musiker sind, werden zweifellos mit Respekt
behandelt. Mit einem Blick auf uns bitten die anderen Fahrgäste den Jungen,
seinen Vater zu einem Lied zu überreden. Der Mann stimmt sein Instrument, eine
Kamayacha (Saiteninstrument), und beginnt eine Ballade, die mir noch heute in
den Ohren klingt. Die Leute sind mit Recht stolz auf ihre Folklore, doch erlahmt
bald das Interesse, und man wendet sich wieder den Reden des Busfahrers zu der
bereits eifersüchtige seine Hupe häufiger hat tönen lassen, als es in dieser
menschenleeren Gegend nötig ist. Schon von weitem sehen wir die Festung
Jaisalmer und nähern uns ihr mit einer Musikbegleitung, die wie keine andere in
diese Landschaft paßt. Bei der Ankunft in Jaisalmer, die wir lange Kilometer
sehnsüchtig erwartet hatten, ist das Erlebnis unwiederbringlich vergangen.
Jaisalmer (Distrikthauptstadt), Höhe der Festung: 76 m
Industrie und Handwerk: Gips, Ton; Kamelleder-und Kamelhaarprodukte, Kamelsättel
Transport: Zug, Bus; Jeep, Kamelkarren, Fahrräder vermietung, Handkarren
auch Reisegesellschaften kommen nach Jaisalmer, während des Desert Festivals ist
die Stadt mit Touristen überfüllt
Tourist Information: keine richtige
Stadtbild: Neben Chittorgarh und Kumbhalgarh ist Jaisalmer sicherlich die
schönste Festung Rajasthans; beeindruckend auch darum, weil viele Gebäude
innerhalb der Burgmauern noch bewohnt sind und dieses Leben der Vergangenheit
erst Wirklichkeit verleiht. Bei den heutigen Bewohnern handelt es sich jedoch
kaum noch um Nachfahren jener reichen Jainakaufleute, die einst den Handel
regierten, sondern um Familien aus umliegenden Dörfern, die sich in den
verlassenen Häusern einrichteten. Etliche Gebäude aber blieben ungenutzt.
Alljährlich fügen ihnen Sandstürme und Monsunregen, vielleicht auch die
tieffliegenden Düsenjäger des nahen Militärcamps, großen Schaden zu.
Nach der Zerstörung des kaum auf so gewaltige Anstürme wie den des Moslems Majez
Khan eingerichteten Stadt Lodurva, suchten die Bhattis für ihre neue Festung
eine geschütztere Lage. Es bot sich der etwa 80 m aus dem Plateau aufsteigende
Trikuta-Hügel an. Man mußte sich dort allerdings mit einer sehr engen Bauweise
begnügen – was zweifellos den Reiz der Stadt ausmacht: Schatten und – kein
Autoverkehr. Aus der Enge ergab sich auch, daß der Palast des Herrschers nicht
wie in anderen Städten Rajasthans an irgendeiner exponierten Stelle errichtet
werden konnte, sondern er steht, wie auch die Jaintempel, eingebunden in das
übrige Stadtleben. Der Stadtpalast, Raj Mahal, besteht aus fünf Gebäudeteilen:
dem Sarvotam Vilas (1685); den Palästen Moti Mahal und Rang Mahal, die Mool Raj
II im frühen 19. Jhdt. anfügte; dem Gaj Mahal von 1884 und einem Überbau über
den Gaj Mahal, dem Akhai Vilas. An der Nordwestseite des freien Platzes vor dem
Palast steht auf einer Empore der Marmorthron, von dem aus der Rawal von
Jaisalmer öffentlichen Veranstaltungen zugesehen hat. In den Räumen des Palastes
sind einige Miniaturen ausgestellt.
Dem Problem des Platzmangels sahen sich auch die finanzstarken Jainafamilien
gegenübergestellt, die einander in Tempelstiftungen zu übertrumpfen suchten. Die
Tempel wurden so ineinander verschachtelt, daß sie wie ein einziges Bauwerk
wirken, das über seine Mauern hinauswuchert. Ein solcher Komplez steht im Süden
der Festung, ein zweiter im Norden. Bei genauer Betrachtung fällt auf, daß in
den Dekorationen die immer gleichen Formen wiederholt und kombiniert werden. Das
verhält sich in den Palästen und Havelis nicht anders. Und bei den Idolen der
Jain-Tirthanks – es soll in der Festung allein über 6000 geben – taucht nicht
eine Variante auf. Dennoch hat man stets das Gefühl, Entdeckungen machen zu
können, wenn man nur sucht. In den Tempeln muß man bei der Suche übrigens darauf
achten, daß man nicht mit dem Kopf gegen die von der Decke hängenden Fledermäuse
stößt. Daß am Eingang alle Lederartikel abgelegt werden müssen, weil die Jainas
jegliches Töten ablehnen, dürfte bereits bekannt sein. Interessant ist an dieser
Stelle, daß im Kintamani-Tempel Trommeln benutzt werden, die mit Tierhaut
bespannt sind. Die Pujaris benutzen diese Instrumente allmorgendlich, wenn sie
zum Gottesdienst rufen (nur zu der Zeit kann der Tempel besichtigt werden). Dort
kann man den wenigen noch in Jaisalmer wohnenden Jainas oder den Pilgern bei
ihren Ritualen zusehen. Dem südlichen Tempelkomplex ist die Bibliothek Gyan
Bhandar angeschlossen, ein enger, unterirdischer Raum, in dem mehrere tausend
illustrierter Manuskripte aufbewahrt werden. Der ersten Ummauerung wurde im 16.
Jhdt. eine stärkere Befestigungsmauer hinzugefügt. Der Zwischenraum zwischen den
beiden Mauern ist Tummelplatz für Ratten, denn dahin fließt nicht nur das
Regenwasser aus den Dachtraufen, sondern auch Küchenabfälle und Fäkalien landen
dort. Dennoch macht Jaisalmer nicht den Eindruck einer schmutzigen Stadt. Dies
gilt sowohl für die Festung selbst als auch für die nördlich daran
anschließenden Stadtteile, wo man endlich zu siedeln begann, als etwa Ende des
17. Jhdts. das Fort keinen weiteren Raum mehr bot. Der Manak Chowk, der einst so
bedeutende Getreidemarkt, liegt ebenfalls hier, am Fuß der Festung. In einem der
Geschäfte sitzen wir mit einem befreundeten Schweizer Ehepaar bei einem vom
Ladeninhaber servierten Tee, unterhalten uns über Unwichtiges, verkaufen Eier
(,,heute gehört der Laden Euch“) an verdutzte Kunden, genießen, was daheim nicht
möglich wäre.
Außerhalb der Festung bauten die reichen Kaufleute und Minister des 18. und 19.
Jhdts. ihre Prachtbauten, die Havelis. An ihnen werden die aufwendigen
Steinmetzarbeiten besonders deutlich, deren klägliche Kopien übrigens im
Tourist-Bungalow-Gebäude in Ziegelbauweise auftauchen. Das Gitterwerk im gelben
Sandstein der Havelis war Antwort auf die Frage: wie kann bei Abschirmung gegen
neugierige Blicke gleichzeitig in den Zimmern größtmögliche Luftzirkulation
erricht werden? Bei einem hitzespeichernden Ziegelbau muß jades noch so gut
konstruierte Luftzirkulationssystem versagen. Die Jharokha (Erker)-Kopien am
Mumal Tourist Bungalow wirken angeklebt. Damit hat zumindest in der Architektur
die Volkskunstals solche muß man die spielerischen Verzierungen sehen – ihr Ende
gefunden. Erklärlich wird dies, wenn man weiß, daß die Steinmetzen Jaisalmers
fast ausnahmslos Moslems waren, die bei der Teilung Indiens nach Pakistan
flohen. Das letzte nach historischen Vorbildern gebaute Haveli ist das Jawahar
Niwas an der Straße nach Sam. Zuvor war dem Rawal von Jaisalmer das Badal Vilas
(westl. der Festung), ein fünf-stöckiger Palast, geschenkt worden. Bei weitem
aufwendiger sind die Havelis des Diwan Salim Singh (Minister; 18. Jhdt.). des
Mohata Nathmal (Minister; 19. Jhdt.) und der Patvas (Geschäftsleute; 19. Jhdt.)
dekoriert. Doch durch simple Betrachtung allein wird man den Häusern Jaisalmers
nicht gerecht. Man muß in einem von ihnen gelebt haben, um ihre Ausstrahlung und
ihre Vorzüge zu begreifen.
Im Süden der Festung liegt der Gadi (auch Gharsi) Sagar, aus dem fast die
gesamte Wasserversorgung der Stadt bestritten wird. Der Tank wurde 200 Jahre
nach der Gründung Jaisalmers von Rawal Gadi zu seiner heutigen Größe ausgebaut.
An seinen Ufern wachsen auch in der Trockenzeit kleine Blumen. Geier nehmen dort
gern ein Bad und breiten danach ihre Flügel zum Trocknen aus. Im Umkreis des
blauen Sees stehen einige Hinduschreine. Das größte Bauwerk ist das Tila Pol,
das Eingangstor, von dem eine Treppe an den See führt. Dieses Tor soll im 19.
Jhdt. von einer Prostituierten gestiftet worden sein, die häufig von ihrem
Wohnsitz Hyderabad (heute Pakistan) an ihren Geburtsort Jaisalmer kam. Als das
Tor fertiggestellt war, wollte der damalige Rawal dieses Bauwerk einer
Unwürdigen zerstören. Die damals noch einflußreichen Brahmanen sollen Tila
geraten haben, das Tor mit dem Standbild Satyanarayans, des Gottes der Wahrheit,
zu versehen. Der König mußte daraufhin grollend seinen Plan verwerfen.
Nordwestlich der Stadt stehen auf dem Dhungri-Hügel etliche Chhattris. Der Ort
dient heute noch als Verbrennungsplatz. Es ist keine Seltenheit, wenn man auf
dem Hügel geschorene Haare der Verwandten des Verstorbenen oder Blumenkränze
findet. Vom Dhungri in nördlicher Richtung sieht man weitere Hügel mit
Grabdenkmälern, von denen aus man den schönsten Ausblick auf Jaisalmer bei
Sonnenuntergang hat.
Ausflüge von Jaisalmer aus:
Mit einem gemieteten Fahrrad fahren wir von Jaisalmer in westlicher Richtung
nach Lodurva, vorbei an Militärbaracken. An einer Gabelung halten wir uns rechts
und – müssen erst einmal einen Reifen aufpumpen. Etwa zwei km hinter der
Gabelung liegt auf der linken Seite der Amar Sagar, ein See mit Chhattris,
Tempeln und Gärten aus dem 17. Jhdt. Der abseits der Straße gelegene Ort ist
noch bewohnt. An der Straße selbst kann man sich in einem Teeladen ausruhen.
Auch wenn es auf der Strecke Versorgungsmöglichkeiten gibt, empfiehlt es sich,
Getränke mitzunehmen.
Fährt man mit dem Fahrrad, dann wird man auf die vielen Kleinigkeiten am
Straßenrand weitaus aufmerksamer, etwa auf Vögel, Ameisenstraßen, winzige
Pflanzen oder auf Steine. Es läßt sich auch nicht verleugnen, daß die
Einheimischen uns, den sonst mit Motorenlärm umherhastenden Fremden, jetzt
geruhsamen Fahrradfahrern, freundlicher gesonnen sind. Unter diesen
Voraussetzungen wirkt die Landschaft längst nicht mehr so trostlos, wie es aus
dem Busfenster immer scheinen will. Nach etwa 15 km sieht man von einer Brücke
über den nur in Regenzeiten wasserführenden Kak-Fluß in der Ferne das Dorf
Lodurva auf einer Anhöhe liegen (17 km nordw. v. Jaisalmer). Von der einstigen
Hauptstadt der Bhatti-Rajputen sind nur noch unscheinbare Ruinen erhalten.
Einige Jahrzehnte nach der Zerstörung der Stadt bauten die Bhattis an dieser
Stelle einen Tempel, der im 15. Jhdt. erweitert und im 17. Jhdt. mit einer
Ummauerung versehen wurde. Dieser Jaintempel ist von einem bronzenen
Kalpavriksha gekrönt, einem Baum der Erleuchtung. Beim Tempel steht ein
Dharamshala für Jainpilger. Von einem alten Mann werden wir zum Tee in sein Haus
eingeladen. Er bietet uns sogar an, bei ihm zu wohnen, doch wollen wir seine
Gastfreundschaft nicht zu sehr strapazieren. Er zeigt uns dann noch sein bis zum
Rand gefülltes Gästebuch und seine von Touristen aufgenommenen Erinnerungsfotos,
denen wir weitere hinzufügen. Sein Sohn sei Fremdenführer in Jaisalmer und würde
viele Touristen herschicken. die sich dann bei ihm wohlfühlten, ob man sich nun
mit Worten verstehe oder nicht. Ein weiterer Ausflug von Jaisalmer führt nach
Sam (41 km westl.), als dessen Attraktion die 3 km vor dem Ort beginnenden
Sanddünen gelten. Man kann mit dem Auto dorthin fahren oder einen Jeep mieten.
An jener Straßengabelung, an der wir gestern rechts nach Lodurva abgebogen sind,
fahren wir heute links. Nach 5 km liegt innerhalb einer Ummauerung der noch
heute sehr gut gepflegte Mool Sagar, ein Garten mit Rosen, Trauben, Gemüse und
schattenspendenden Bäumen. Der Sagar beim Garten ist zumeist ausgetrocknet. So
muß das Wasser für die Pflanzen aus Jaisalmer hergeleitet werden. Außer dem
Gärtner lebt niemand am Mool Sagar. Nach weiteren 5 km gelangen wir zu einem
kleinen Dorf, das einst von Paliwal-Brahmanen bewohnt war. Diese Brahmanen
galten als erfolgreiche Bauern, die mit aufwendigen Bewässerungsmethoden dem
Wüstenboden einen hohen Ertrag abzugewinnen verstanden. Im frühen 19. Jhdt.
sahan sie sich gezwungen, die Gebiete um Jaisalmer zu verlassen, da die hohen
Steuerforderungen, die ihnen Mool Rajs Diwan Salim Singh auferlegt hatte, sie
ruinierten. Im Distrikt Jaisalmer sollen noch 84 solcher verlassener Dörfer
erhalten sein. Einige von ihnen, wie auch dieses an der Straße nach Sam, wurden
in späteren Jahren von Angehörigen anderer Kasten wieder hergerichtet, wobei
jedoch die alten Mauern ungenutzt blieben und als Ruinen die neuen Bauten
umgeben. Kleine Jungen führen uns durch das Dorf. In der Schule rezitieren
einige Knirpse das Alphabet. Warum unsere Begleiter nicht dabei sind? Sie hätten
keine Lust, winken ab. Später verabschieden sie sich von uns, ohne ein Bakshish
zu verlangen. Das ist echt ungewöhnlich, da auch dieses Dorf schon von vielen
Touristen besucht worden ist. Wir schämen uns, mit dem Jeep gekommen zu sein.
die Fahrt wäre auch mit dem Fahrrad möglich gewesen.
Hinter dem Ort wird die Landschaft interessanter. In der Ferne sieht man bald
erste Sanddünen. Erst 30 km hinter Jaisalmer gelangen wir zur nächsten Siedlung,
nach Khanoi. In diesem Ort werden Kamelsättel hergestellt. Jemand bietet uns
einen Miniatursattel als Souvenir an, ebenso liebevoll gearbeitet, ebenso schön
wie die Originale, aber doch nur ein Stück, das erst mit dem Tourismus seinen
Sinn erhält, ein Zeichen, daß selbst in diesem entlegenen Ort die Neuzeit
Fortschritte macht. Etwa 8 km hinter Khanoi erreichen wir die Sanddünen von Sam.
Wir sind enttäuscht, da wir mit einem größeren Ausmaß der Dünen gerechnet
hatten. Da liegen sie nun an der Straße, mit Hinweisschildern als Dünen
gekennzeichnet, und langweilen uns. Wir entschließen uns, zunächst bis Sam
weiterzufahren. Von dort führt die Straße bis Dhanana, doch ist dieser
Streckenabschnitt für Touristen gesperrt (Erlaubnis eventuell beim Collector in
Jaisalmer). Dort, so versichert man uns, gebe es erst die richtigen Sanddünen zu
sehen. Nur nicht nochmals darauf hereinfallen!
Sam besteht aus zwei Ortsteilen, einem rechts der Straße mit bemalten
Lehmhäusern, dem zweiten links mit zum großen Teil langweiligen Steinhäusern.
Wir suchen zuerst das interessantere Lehmdorf auf, wo wir jedoch recht
unfreundlich empfangen werden. Erwachsene sehen uns mißtrauisch nach, Kinder
betteln. Nun, wir schämen uns schon seit einigen Stunden, überhaupt zu dieser
(allerdings schönen) Fahrt aufgebrochen
zu sein. Um nichts auszulassen, gehen wir doch noch zu jenem wohlhabenderen
Ortsteil von Sam hinüber. Dort ist Endstation für den Bus aus Jaisalmer, dort
gibt es Tee, stehen Post und Schule des Ortes. Da viele Bewohner Hirten sind,
ist das Dorf in diesen Nachmittagsstunden wie ausgestorben. Auf einer Veranda
sitzen einige Männer beim Tee. Unser Fahrer, der sich in den anderen Dörfern
reserviert verhalten hat, setzt sich sogleich hinzu, allerdings mit
unterwürfiger Haltung. Wir werden ebenfalls eingeladen. Bevor wir uns setzen
können, hat unser Fahrer schon alles ausgeplaudert, was er über uns weiß. Ja,
die da drüben in den anderen Dorf, das seien ,,Low Castes“, von denen dürfe man
nicht viel erwarten. Hatten wir uns anmerken lassen, daß wir uns dort nicht
wohlfühlten? Der Dorfschullehrer spricht ein wenig englisch und stellt zunächst
sich, dann den Mann vor, vor dessen Teeladen wir hocken. Er, der Lehrer, sei
Brahmane, verdiene 16000–17000 Rs. im Monat. Der dort mit dem Schnurrbart sei
Rajput. Keine weiteren Details. Der Rajput Teeladenbesitzer sieht uns
verächtlich an. Wir erzählen von uns, aber nicht mehr als das, was unser Fahrer
schon längst aus geplaudert hat. Daß beide Ausführungen übereinstimmen, spricht
für uns. ,,Habt Ihr unseren Volleyballplatz gesehen?“ Man weist uns noch auf
diverse andere Errungenschaften hin. Dann zeigt der Lehrer auf einen anderen
Mann. ,,Crack Man!“ Verrückt. ,,Too much opium, you know. Das raucht er in
seiner Hukkah.“ Alle lachen. Dabei sind wir überzeugt, daß hier niemand seine
Wasserpfeife nur mit Tabak stopft. Was soll man sonst machen in dieser Einöde?
Wir fragen, ob die Männer Langeweile hätten. ,,Wir wissen uns schon zu
beschäftigen.“ Frauen sind kein Thema, darüber redet man nicht. Jedenfalls nicht
mit uns. Der Lehrer wolle gleich nach Jaisalmer aufbrechen. Wir fragen, ob die
anderen auch schon dort gewesen seien. Das interessiere sie nicht. In der Stadt
hätten die Leute keine Moral, nur im Dorf hätte noch alles seine Ordnung. Das
Kastensystem? Auch das. Sogleich fallen uns Bilder aus Jaipur ein, wo man oft
ganze Trupps von Dorftbewohnern dichtgedrängt und verängstigt beieinander sieht.
Mehr zu erzählen sind die Männer nicht gewillt. Wieder die Frage, aus welchem
Land wir kämen, wieviel Geld wir verdienen würden, welchen Beruf wir hätten. Wie
soll man Menschen, die nie ihr Dorf verlassen, deren gesamte Ersparnisse sich
auf einen Bruchteil eines durch schnittlichen Monatseinkommens in Deutschland
belaufen und denen Beruf zugleich Kaste bedeutet, auf solche Fragen antworten?
Sind eben die Männer unseren Fragen ausgewichen, so müssen wir hier mit
Antworten zurückhalten.
Auf der Rückfahrt halten wir nochmals bei jenen Sanddünen und unternehmen einen
Sandspaziergang. Von Ferne nähert sich ein Kamelreiter. In Sam weiß man bereits,
was Touristen wünschen: auf dem Kamel über Dünen reiten, hoch oben auf den
Sonnenuntergang warten und die Kamel-Mensch-Silhouette vor glutroter Sonne
knipsen. Übrigens kann man auch in Strohhütten bei den Dünen übernachten, doch
gibt es dort kein Wasser.
Von Jaisalmer bieten sich noch eine ganze Reihe anderer Ausflüge in entlegene
Dörfer an. Man sollte jedoch stets daran denken, daß man gerade hier in eine
sehr fremde Welt einbricht, der man leicht Schaden zufügt. Als Transportmittel
dorthin seien Fahrrad, Kamelkarren oder öffentliche Busse angeraten. Die Gebiete
westlich von Barmer, Sam und Ramgarh sind für Touristen gesperrt. |