Fahrt
von Ajmer – Jodhpur 198 km. via Beawar in Rajasthan (Ein Reisebericht). Bis
Beawar (53 km), einer recht unfreundlichen Industriestadt, führt die Straße
durch Iandwirtschaftlich genutztes Gebiet. Wenn es nach Beawar verschlagen hat,
der kann mit dem Fahrrad ein Forschungsgelände des indischen Geological Survey
an der Straße nach Jodhpur erreichen. Man durchfährt dieses naturbelassene
Gebiet auch mit dem Bus auf der weiteren Fahrt nach Jodhpur. Dann folgt die
Überquerung der letzten Aravalli-Hügel, und schließlich zweigt man von der nach
Pali führenden Hauptstraße in westlicher Richtung ab. Als hätte man an diesem
Abzweig eine letzte Entscheidung getroffen, wandelt sich hier augenblicklich das
Landschaftsbild: Sandboden, Sukkulenten, in Staub aufgelöster Horizont,
Eintönigkeit. Nach der Überquerung des Luni hinter Bilara kann man den Rest der
Strecke verschlafen. Neben den gelben Turbanen, die die Bauern dieser Region
tragen, fallen uns nur noch die Agaven-pflanzungen zum Schutz der Felder gegen
Wüstensand auf.
Schon weit vor Jodhpur hat man einen schönen Ausblick auf den Festungshügel, der
sich 130 m über Jodhpur erhebt. Vor der Stadt liegen links und rechts der Straße
Militärbaracken. Je mehr wir uns Jodhpur nähern, desto mehr verliert der Ort
leider an Reiz.
Jodhpur (Distrikthauptstadt), Höhe ü.d.M.: 230 m
Einwohnerzahl: 317 612 (1971)
Industrie und Handwerk: Gips, Wollindustrie; Lack- und Emaillearbeiten,
bestickte Schuhe
Transport: Flugzeug, Zug, Bus; Tonga, Rikshaw, Taxi, Scooter
Stadtbild: Charakteristisch für die innerhalb der 10 km langen Stadtmauer
gelegene Altstadt sind
die weiß und hellblau getünchten Häuser. Mit Ausnahme des Girdikot und des
Sardar-Marktes am Clock Tower wirken die Bazarstraßen weit weniger anziehend als
die jenigen von Alwar oder Ajmer. Im Stadtbezirk sieht man eine Reihe von
Steinbrüchen mit zum Teil skurrilen Felsresten. Die Bildhauer Indiens stehen im
Ruf, meisterhafte Bearbeiter von Monolithen zu sein. Viele Tempel, die aus einem
einzigen Felsen gehauen wurden, zeugen davon. Sicher entspricht diese
Arbeitsweise mehr dem hinduistischen Geist als das Aufschichten gleichförmiger
Ziegel zu einem nach Plan vorausberechneten Ganzen. In den Steinbrüchen Jodhpurs
scheint man diese Fähigkeit allerdings ad absurdum führen zu wollen. Hier werden
in tagelanger Kleinstarbeit aus den ,,Jodhpur Stone“ genannten roten
Sandstein-brocken spiegelglatte Steinplatten geklopft. Arbeitskraft und Zeit
sind null und nichtig, das Material scheint in unerschöpflichem Maß vorhanden zu
sein. Auf einer Fahrt durch den Jodhpur-Distrikt sieht man die roten
Steinplatten als Schutzwall der Felder gegen den vordringenden Wüstensand. Zur
Zeit werden auf der vom Clock Tower nach Süden führenden Straße die alten Häuser
abgerissen und neue Häuser aus dem Jodhpur-Stein gebaut. Hier soll eine
Prachtsraße entstehen, doch zumindest während der Bauzeit hat die Straße den
Charme eines amerikanischen Highways auf der Höhe von Coffeyville.
Aus dem gleichen Stein wurde das Meherangarh-Fort mit den Palästen der Maharajas
(16. – 18. Jhdt.) auf dem 120 m hohen Hügel gebaut. Von Nordosten führt eine
Straße zur Festung hinauf, von Süden der alte Aufgang. Ein weiterer Weg von
Norden, vorbei an Ruinen und Teichen, ist schöner, aber beschwerlich und nicht
leicht zu finden. Wer die eindrucksvolle Festung fotografieren möchte, wird sich
über die unkonventionell verlegten Stromkabel ärgern. Hinter dem Eingangstor
liegt rechts ein Gebäude, in dem verschiedene Behörden untergebracht sind. Dann
folgt ein Spalier von Souvenirläden. Von dort führt der Weg in Serpentinen zum
Museum hinauf. An einer Stelle der Festungsmauern hat man mit Farbe die
Einschüsse von Kanonenkugeln markiert. Am Loha Pol sieht man die Handabdrücke
von 15 Satis. Sechs davon stammen von Frauen Man Singhs, die sich 1843 mit dem
Mahraja verbrennen ließen. Weiter oben, vor dem Eingang zum Museum, spielen oft
Folkloremusiker, doch dauert deren Darbietung gerade so lang wie der
Vorbeimarsch der Touristen.
Ins Museum, den ehemaligen Räumen der Maharajas mit einer nur geringfügig
veränderten Einrichtung, werden wir von einem Führer geleitet, der gewissenhaft,
aber wortkarg die Türen zu den Gemächern aufschließt. Ausgestellt
sind Waffen, Manuskripte, Miniaturmalereien, die Sänften der Herrscher, Juwelen,
kurz: alles, was die Maharajas zum Leben benötigten. Mögen die einzelnen Stücke
auch von geringer Bedeutung sein, so zeichnet doch die Gesamtheit ein lebendiges
Bild des Prunks am Hof der Fürsten. Einige Gegenstände sind unschwer als
Vorläufer dessen auszumachen, was heute dem Bazarbesucher in verkitschter Form
angeboten wird. Wir verlassen das Museum mit dem Eindruck, den einzigen Ort
gesehen zu haben, an dem etwas vom Leben der Maharajas des 18. und 19. Jhdts.
erhalten blieb.
Auf der südlichen Befestigungsmauer, in der Nähe des Chamunda-Tempels, kann man
einige Kanonen besichtigen. Von dort hat man den besten Ausblick auf die Stadt.
Es ist verblüffend, wie laut es hier allein durch die aus der Altstadt
heraufschallenden Menschenstimmen ist. Nördlich der Festung steht der Jaswanth
Thada, der weiße Marmorchattri des Jaswanth Singh, in dem sämtliche Maharajas
Jodhpurs mit Regierungszeiten aufgeführt sind.
Die Neustadt Jodhpurs finden wir ausgesprochen häßlich. Eine Ausnahme bildet
allenfalls der Umaid Park, in dem ein Zoo, eine Bibliothek und ein Museum mit
Waffen, Textilien und Gemälden untergebracht sind. Wie auch in vielen anderen
Parks in Rajasthan sieht man hier wildlebende Pfauen, die in den bewässerten
Grünanlagen am leichtesten Nahrung finden. Etwa zwei Kilometer südöstlich des
Parks liegt auf dem Chittar-Hügel der Umaid Bhavan Palast. Man kann sich kaum
eine trostlosere Umgebung für einen
Palast vorstellen. An der Nebenstraße zum Umaid Bhavan liegt ein Teich, an dem
Ziegen und Wasserbüffel der Dämmerung entgegendösen, um am nächsten Tag mit der
gleichen Tätigkeit forfahren zu können. Ein Lebensmitteldepot, zu dem wahre
LKW-Kolonnen pilgern, scheint hier das einzig sinnvolle Unternehmen zu sein. Den
Palast ließ Umaid Singh in den Jahren 1920 bis 1930 errichten. Ist im alten
Palast der Prunk der Maharajas konserviert, so blieb hier die letzte Station des
Verfalls erhalten. Das Innere, in das durch die winzigen Fenster kaum
Sonnenlicht dringt,
erinnert an den Xanadu-Palast des ,,Citizen Kane“. Sicher wollte man sich auch
hier vor den Unbillen der Außenwelt verschließen, sei es vor der Hitze, der
unerträglich öden Landschaft oder dem Herrannahen der Unabhängigkeit Indiens und
damit der Entmachtung der Fürsten. Nur ein Teil des Umaid Bhavan kann besichtigt
werden, der Rest wurde zu einem Hotel umgebaut, aus dem die Nachkommen des
letzten Maharajas ihren Unterhalt bestreiten. Ein Diener zeigt uns zunächst die
Cinema Hall, eine absurde Besichtigung, denn im Saal ist es so dunkel, daß jeden
Moment der Film beginnen könnte. Wir sehen den Tanzsaal, die Konferenzhalle, ein
silbernes Modell der Festung, ein in London gefertigtes Modell des Umaid Bhavan,
Tische aus Elefantenohren, ansgestopfte Tiger und Leoparden, denen Besucher die
Ohren abgeschnitten haben. Die marode Welt eines gelangweilten Herrschers! Der
heutige Maharaja sei als Regierungsbeauftragter in Westindien, erzählt uns der
Diener und weist uns, eine Petroleumlampe in der Hand, den Weg in den Keller.
Während er mit der Funzel die Katakomben mit einem darin eingemauerten Swimming
Pool so gut ausleuchtet, wie es eben geht, denken wir darüber nach, ob er wohl
weiß, daß Westindien nicht ein Teil Indiens ist. ,,Sie sehen die
Tierkreiszeichen? Wir befinden uns direkt unter der Kuppel.“ Wir schleichen im
Kreis um das Wasserbecken, immer dem Lämpchen hinterher. ,,Wenn es Strom gibt,
können die Hotelgäste hier baden.“ Wenn es Gäste gibt! Und Strom hatten wir in
den letzten Tagen auch selten. An der Rezeption fragen wir eine Dame, ob
Getränke serviert würden. Ich habe nie in Indien ein reineres Oxford-Englisch
gehört als von dieser Dame, vor der unser Aladin mit seinem Petroleumlämpchen
katzbuckelt. Ein leibhaftiges Überbleibsel der Familie Rao Jodhas!
Ausflüge von Jodhrpur aus: Ziel der Ausflüge können zunächst die künstlichen
Seen am Stadtrand sein. Sieben Kilometer vom Stadtkern liegt der Balsamand-See
mit einem Palast, 1159 von Rao Parihar gebaut. An der Straße nach Jaisalmer
liegt der Kailana-See mit einem Garten. Da diese Seen den Wasserbedarf Jodhpurs
nicht decken konnten, wurden in und außerhalb der Stadt noch weitere Tanks
angelegt.
Fährt man
in nördlicher Richtung aus der Stadt, so gelangt man nach zwei Kilometern nach
Mahamandir, einer Siedlung mit eigener Stadtmauer und einem Shiva-Tempel. Nach 9
km erreicht man Mandor, die alte Hauptstadt. Neben Resten der Stadt stehen im
Garten von Mandor die Chhattris einiger Maharajas, Bekannt ist auch die
Heldenhalle, ,,Schrein der 330 Millionen Götter“, in der 16 Monolithskulpturen
zu sehen sind, eine Sammlung, die jeweils nachfolgenden Maharajas um ihre
Lieblingsgottheit erweiterten. Erst hinter Mandor verläßt man den Einzugsbereich
Jodhpurs. Mit Ausnahme weniger Rundhäuser trifft man bis Osian (58 km) auf keine
Siedlung mehr. In Osian, einer einstigen Siedlung der Gurjara Pratiharas, sind
16 Hindu- bzw. Jaintempel aus dem 8.-11. Jhdt. erhalten. Nach dem Tempel von
Bhinmal steht hier der älteste Tempel der Pratihara-Zeit. Zur Zeit ist die
Dorfbevölkerung recht eifrig mit der Restaurierung der Tempel beschäftigt; der
Mahyamata-Tempel auf einem Hügel hat sogar einen vollständig neuen, wenn auch
unpassenden Treppenaufgang erhalten. Die schönsten Tempel liegen an der nach
Jodhpur führenden Straße. Man sollte jedoch zunächst bis zur Bushaltestelle in
der Nähe des Bahnhofs durchfahren. Der Bahnhof, der erst 1965 gebaut wurde, ist
eine Station auf der Eisenbahnstrecke nach Jaisalmer. Sanddünen reichen bis an
die Gleise heran. In diesem Gebiet leben in Rundhäusern Angehörige niederer
Kasten außerhalb des Dorfes. Da häufig Touristenbusse nach Osian kommen, sind
Ausländer hier kein ungewohnter Anblick. (Man läuft bei der Besichtigung bis zu
jenen ersten Tempeln an der Straße nach Jodhpur zurück, um dort in den Bus zu
steigen, der zuerst nach Osian zurückfährt, dann aber wieder nach Jodhpur
aufbricht. Auf diese Weise kann man sich für die immerhin zweistündige Busfahrt
nach Jodhpur einen Platz sichern, denn die Leute, die hier noch im Bus sitzen,
werden mit Sicherheit am Busbahnhof, also eine Station weiter, aussteigen. Wir
gehen so ausführlich auf diesen Trick ein, weil der Besuch Osians leicht an Reiz
verliert, wenn man insgesamt vier Stunden im Bus stehen muß.
Ein andere Straße von Jodhpur nach Norden führt über Soyala (Shivatempel) nach
Nagaur (135 km), wo eine Festung und ein Palast erhalten sind. Zwischen Januar
und Februar findet in Nagaur ein Viehmarkt statt. Auf der Strecke nach Barmer
erreicht man nach 48 km das Dhawa-Wildreservat. Zwischen Jodhpur und Udaipur
liegen die Tempel von Ranakpur.
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