Exkursion
nach Ranakpur in Rajasthan (Ein Reisebericht):
Wir
fahren nun durch die Ebene des Jodhpur-Distriktes. Auf der
linken Seite bleiben die Berge und auch der Palast der
Festung Kumbhalgarh in Sichtweite. In Sadri zweigt eine
Nebenstraße nach Ranakpur ab. Wir nahern uns wieder den
Bergen. Nach 9 km auf dieser Straße liegt links an einer
Bushaltestelle ein Teeladen. Die Busse, die hier halten,
verkehren zwischen Udaipur und Jodhpur. Gleich hinter dem
Teelande führt ein Weg zu den Tempeln von Ranakpur.
Der Chau-Mukha (,,Vier Gesichter“)-Tempel wurde 1433 von
Dharna Shah erbaut. In 84 Hallen weist er 1444 Säulen auf,
von denen keine zwei genau gleich dekoriert wurden. Nicht
die einzelnen Darstellungen, sondern die Fülle der
Arbeiten besticht in Verbindung mit der Gesamterscheinung
dieses Jaintempels in landschaftlich schöner Lage. Wir
befinden uns nun erstmals auf unserer Reise durch
Rajasthan in einem Jaintempel, in dem noch Kultzeremonien
abgehalten werden. Beim Betreten des Tempels ist zu
beachten, daß keine aus Leder gefertigten Artikel mit ins
Heiligtum genommen werden.
Auf dem gleichen Gelände befinden sich noch weitere
Tempel, von denen jedoch nur noch der Parshwanath-Tempel
aus dem 14. Jhdt. erwähnenswert ist. Die Pujaris beteuern,
hier sei das Khajuraho Rajasthans, dabei spekulierend mit
dem Interesse des Besuchers an den erotischen
Darstellungen, die jedoch bei weitem nicht so kunstvoll
wie jene in Khajuraho sind. Beinahe folgerichtig befaßt
sich eine indische Familie, die den Tempel mit uns zur
gleichen Zeit besucht, auch mehr mit dem am
Bauangebrachten Blitzableiter.
Auf der Rückfahrt kehren wir nicht nach Sadri zurück,
sondern folgen der Straße in südlicher Richtung. Voller
Stolz weist unser Fahrer auf die Elefantenskulpturen, die
eine Brücke am Weg zieren. Unser bischeriges
Besichtigungsprogramm hat ihn nicht im mindesten
interessiert, aber hier würde er sich offensichtlich gern
tagelang aufhalten. Die Straße führt wieder in die Berge
und gibt Ausblicke auf enge Schluchten frei. Ein besonders
schöner Aussichtspunkt ist sogar mit einem Schild als
solcher kenntlich gemacht – man erkennt ihn aber auch
mühelos ohne den Hinweis. In ihrer Urwüchsigkeit erscheint
uns die Landschaft noch bemerkenswerter als auf der
Bergfahrt nach Kumbhalgarh. An kahlen Hängen stehen
vereinzelt mächtige Bäume. Allmählich aber weiten sich die
Schluchten zu Tälern. Hier ist wieder genügend Platz zum
Getreideanbau. In einer der menschenleersten Gegenden der
Strecke sehen wir zwei Jaina mönche: völlig in weiß
gekleidet, mit einem Mundschutz, der sie davor bewahren
soll, beim Einatmen kleine Insekten zu töten, sowie einem
Besen, mit dem sie die Erde vor ihren Füßen kehren, um
kein Leben zu zerstören. Eine geheimnisvoll wirkende
Erscheinung in dieser Gegend. Unser Fahrer zerstört die
Ausstrahlung dieses Momentes mit den Worten: ,,Holy men!“
als wolle er sagen: ,,Das sind zwei Tippelbrüder.“ Er ist
Hindu. Davon überzeugt er uns nochmals, als er bei einer
Rast zwei neugierig herbeigelaufene Kinder nach ihrer
Kaste fragt. ,, Rajput“, gibt einer der beiden zur
Antwort, worauf unser Chauffeur geradeso stolz ist wie
jenen Elefantenbildnissen.
In Gogunda, wo einst Maharana Pratap seinen Hauptsitz
hatte, fällt uns die rote Erde auf, aus der die Ziegeleien
des Ortes Backsteine formen. Hinter dem Ort treffen wir
wieder auf die Straße, die Udaipur mit Kumbhalgarh
verbindet.
Am Mittag wird die Ebene zu Staub. Von den Hügeln bleiben
pastellene Prospekte, Scheibe hinter Scheibe in die Erde
eingelassen. Oft meine ich, ich müßte die hinteren
Scheiben durch die vorderen hindurch sehen können. Die
senkrechte Beleuchtung beläßt keinem Strauch seinen
Schatten. Gegen den Himmel grenzen sich scharf die vom
Wetter gefeilten Bergkuppen ab.
Erst wenn die Sonne tiefer steht, gibt sie der Landschaft
wieder Substanz. Wie Puddinghaufen liegen dann die
Aravallis in der Ebene, Dornbüsche darauf ausgestreut wie
Borkenschokolade. Eine Spielzeuglandschaft, ein braunes,
ausgebeultes Billardtuch, über das jeden Augenblick eine
Modelleisenbahn fahren muß. Kein Licht will mir zeigen,
was diese Berge nach dem Lexikon sind: Falten, die vor
Jahrmillionen begannen, sich unter dem Druck zweier
Kontinente emporzuschieben; an denen seit ebenso langer
Zeit der Wind sägt.
Am nächsten Morgen fahren wir wieder durch die Landschaft.
Jetzt sitzen anstelle der Puddinghaufen zerfurchte,
graubärtige Männer auf einem grünen Teppich. Diese
Mondberge, wirken sie fremd in den Weizenfeldern oder
gehören die Felder nicht in die Mondlandschaft? |